Stadt Kempen "Fisematenten" und "Spönnjewiäve"

Stadt Kempen · Die Sprache des Niederrheins ist das Platt. Dessen Urwüchsigkeit verschwimmt mehr und mehr zur Umgangssprache zwischen Hoch- und Niederdeutsch. Aber auch die schafft den Menschen ein Heimatgefühl.

 Jupp Paschs Schwerpunkte liegen in der Erforschung des Platt und in seiner Darstellung im Text.

Jupp Paschs Schwerpunkte liegen in der Erforschung des Platt und in seiner Darstellung im Text.

Foto: Achim Hüskes

Was es mit dem Herbst auf sich hat? Das hört sich bei dem plattdeutschen Dichter Peter Erdweg aus Anrath so an: "Opp Bööm onn Strüük, /opp Spönnjewiäve, opp Häck onn Jraas, /do spröhe Dröppkes Tou wi Edelsteen. /Oss jo-e Modder Ärd, di janz sech uutjejiäve, /drenk uutjemärreld jiär datt kööle Naat." Also Tautropfen sprühen auf Bäumen und Sträuchern und Spinngeweben, und die Mutter Erde, ganz ausgemergelt, trinkt gern das kühle Nass. Das ist deftig und innig, bilderreich und erdverbunden. Das ist Platt. Und Platt ist für viele am Niederrhein Heimat. Eine Sprachform, die den Niederrheiner spiegelt, wie er vor Zeiten war: versonnen und eher abweisend als zugänglich; mehr ernst als freundlich und im Umgang bedächtig; auf Gott und sich selbst vertrauend und deshalb gefestigt auch in Schicksalsschlägen und Unglück.

Der unvergessene St. Huberter Mundartdichter Hannes Martens hat in seinen Texten tief in die Truhe der niederrheinischen Mundart gegriffen, denn er hat ihre Sprache geliebt - und in ihr gelebt. In seinem Gedicht "Os Sproak" ("Unsere Sprache") hat er geschrieben: "Böes mech ant Hart jewaasse /wi Löü on Huus on Lonk. /On möes ek dech ens messe/wüer ek von Harte kronk." ("Bist mir ans Herz gewachsen /wie Leute, Haus und Land. /Und muss ich dich einst missen, /würd? ich von Herzen krank.")

Mundartliche Varianten gibt es so viele, wie es am Niederrhein Orte gibt. Was auf Hochdeutsch Freitag heißt, wird in Tönisberg Friidach genannt, in St. Hubert Vriidich, in Kempen Friidach. Es gibt aber nicht nur Verschiedenheiten von Ort zu Ort. Die entscheidenden Unterschiede werden durch die Zugehörigkeit zu großräumigen Dialektlandschaften hervorgerufen. Doch die Mundart wandelt sich, denn die Sprachräume verschieben ihre Grenzen.

 Das niederrheinische Platt ist wie der Niederrhein selbst: facettenreich, urwüchsig und liebenswert.

Das niederrheinische Platt ist wie der Niederrhein selbst: facettenreich, urwüchsig und liebenswert.

Foto: Dpa

Das Tönisberger Platt zum Beispiel war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch Teil des niederfränkischen Mundartgebietes, das den unteren Niederrhein einnahm bis nach Nordlimburg und Nimwegen hin. Dort sagt man für "ich" "ek". Aber im Lauf der letzten hundert Jahre hat es sich deutlich den südlichen Nachbarmundarten angeglichen, dem sogenannten rheinischen oder ripuarischen Sprachgebiet. Dessen Zentrum ist Köln, und da sagt man für "ich" "ech" oder "esch". Will sagen: Das Platt Tönisbergs (vom Niederfränkischen geprägt) hat sich den Mundarten von St. Hubert und Kempen (rheinisch oder ripuarisch) angenähert. Ein Beispiel dafür, dass die Unterschiede sich verwischen. Ortstypische Wortformen machen großräumigem Sprachgebrauch Platz. Das Platt verliert seine Eigenheiten. Manche meinen, es stirbt.

Mehr und mehr wird die Mundart vom Hochdeutschen aufgeweicht. Die alten drastischen Sprichwörter, die treffsicher so manche Lebensweisheit pointierten - wer kennt sie noch? "Alles jeht ü-ever, sät d'r Foos, doa trocke se em et Vä-el ü-ever de Uore" ("Alles geht vorüber, sagte der Fuchs, als sie ihm das Fell über die Ohren zogen."), sagte man in Waldniel über jemanden, der sich Illusionen macht. "Et Hart jeht dich op wie Bookertskook" ("Das Herz geht dir auf wie ein Buchweizenkuchen"), beschrieb man in Viersen ein aufkommendes Glücksgefühl. Immer mehr Ausdrücke verschwinden, vor allem die, die aus dem Französischen importiert wurden. Wer sagt heute noch "Keie" für " Kiesel"? Das kommt von "caillon". Oder das berühmte "Fisimatenten"! "Visitez ma tente!" ("Besuchen Sie mein Zelt!"), luden die Offiziere Napoleons die jungen Mädchen am Niederrhein ein - was die besorgten Eltern mahnen ließ: "Mädchen, mach keine Fisimatenten!"

Mittlerweile ist eine regionale Umgangssprache entstanden, die kein Platt mehr spricht, aber zahlreiche Wörter vom Platt entlehnt. Experten nennen sie den "Regiolekt" oder die "Dat-und-wat-Sprache". "Kumma, der hat die Bux kaputt!" Das können Jugendliche im Kreis Viersen noch gut verstehen. "Box" für "Hose" ist ursprünglich ein Dialektwort. Verkleinerungsformen auf -ken und -kes wie Törken, Blümkes und "Schlüffkes" für "Hausschuhe" sind typisch für diesen Alltagssprech zwischen Hoch- und Niederdeutsch.

"Ja, dat wüsst ich abber!" oder "Darwet en bissken mehr sein?" Ja, so spricht man am Niederrhein, und die Menschen fühlen sich zu Hause dabei. Sätze wie "Lecker warm hier!" oder "Hasse se noch all?" als falsches Deutsch zu brandmarken - das tun nur Leute, die nicht verstanden haben, dass Sprache Heimat schafft. Zunehmend sind Dialekt und dialektgefärbte Sprache zum Ausdruck eigener Identität geworden; gegen eine hoch technisierte, außengesteuerte und immer unüberschaubarer werdende Welt.

Die Hochform des niederrheinischen Platt ist freilich die mundartliche Dichtung. Einer ihrer besten Vertreter ist Jupp Pasch aus St. Hubert. Seine Schwerpunkte liegen in der Erforschung des Platt und in seiner Darstellung im Text. Aber er macht sich keine Illusionen: "Das Platt ist im Alltag nur noch als Relikt vorhanden", sagt Pasch, "es ist zu einer Sprache der Älteren verkommen, zu einer Museumssprache. Damit hat unsere heimatliche Umwelt ein wichtiges Stück ihrer Farbigkeit verloren."

Der Grund sei, meint Jupp Pasch, dass die junge Generation dialektlos aufgewachsen ist: "Sie wurde mit Nachdruck dazu angehalten, das Platt als ´gewöhnliche, hässliche Sprache` zu meiden." Dabei könne die schlichte Sprache der Mundart durchaus Tiefgründiges ausdrücken. Als Beispiel sei ein Vierzeiler von Jupp Pasch über den Zusammenhang von Glauben und Leben zitiert:

"De Wörtel ös et, die däm Boom

bee Onweär hält, bee Wönk on Reäje.

Oahne sin Wörtel fällt däm Boom

on oahne Jlööve ook din Leäve."

Auf Hochdeutsch:

"Die Wurzel ist es, die den Baum

bei Unwetter hält, bei Wind und Regen.

Ohne seine Wurzel fällt der Baum

und ohne Glauben auch dein Leben."

(hk)
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