Willich Eine Nummer, kein Name

Willich · Es war ihm wichtig, nach Willich zu kommen. Als 16-jähriger saß er im Zuchthaus Anrath ein, wurde dann in das KZ Buchenau gebracht: Leonid Gruntenko erzählte gestern in der Gesamtschule von seinem Dasein als KZ-Häftling.

Der Jugendliche Leonid Gruntenko kam mit seiner Schwester aus der Ukraine als Zwangsarbeiter des Hitler-Regimes zur Arbeit bei der IG Farben nach Krefeld. Bei dem Versuch, sich über Zucker ein Zubrot zu holen, wurde er verhaftet, in das von der Gestapo genutzte Anrather „Zuchthaus“ gebracht und später in das KZ Buchenau.

Gestern erzählte Gruntenko den Willicher Gesamtschülern der Klasse 10b von dieser Zeit, der harten Arbeit, der Kälte, dem wenigen Essen und den Schikanen, die er erlebt hatte. Schon der Transport n das Konzentrationslager zeigte die Willkür, denen die Gefangenen ausgesetzt waren: Als es einen Streit um die wenigen Decken in den kalten Waggons gab, ließen die Wachen die Gefangenen Treppen auf und ab laufen, damit ihnen warm wurde. Als er im KZ ankam, habe er seinen Namen verloren, erzählte Leonid Gruntenko: Er wurde die Nummer „sechsundzwanzig drei achtundvierzig. Diese Nummer durfte ich nie vergessen, ich kann sie heute noch auf Deutsch.“

Unter dieser Nummer leistete er Schwerstarbeit für das NS-Regime, wobei er sich noch „glücklich schätzte“, weil er in einem Salzbergwerk bei Helmstedt „saubere Arbeit“ machen durfte. Dafür gab es morgens 200 und abends 120 Gramm Brot. Wer in der Nacht gestorben war, wurde von der Gruppe so gestützt, dass er noch lebendig erschien – „die zusätzliche Brotration haben wir auf die Ruhe seiner Seele gegessen“, so Gruntenko. Der 83-Jährige schilderte den Schülern, wie er bei der Reinigung des Aufseherraums Zigarettenstummel und das Gerippe eines Herings mit Kopf und Schwanz in einem Abfalleimer fand, „das war der beste Fund“, denn der Abfall der Wärter bot dem Gefangenen Nahrung. Ein anderes Mal habe er gesehen, wie sich Häftlinge um ein Stück Brot gestritten hätten und es noch aßen, selbst als es schon in die Latrine gefallen war – an dieser Stelle entstand Geraune unter den Schülern: „krass“ meinten die Jungen und Mädchen. Gruntenko berichtete auch von Paul Meißner, einem Berliner, der sich den KZ-Häftlingen gegenüber menschlich verhielt. Ihn habe er nach der Befreiung aus dem KZ besuchen wollen, um ihm zu danken, habe ihn aber als Rotarmist nicht treffen dürfen.

Nach den Erzählungen ermunterte Gruntenko die Jugendlichen Fragen zu stellen. Wichtig war den Schülern, wie er diese Jahre überlebt habe. Es sei eine Frage von Tag zu Tag gewesen, ob er zu essen bekommen habe, so Gruntenko: Dann habe er gedacht, „heute sterbe ich nicht. Große Ideale habe ich nicht gehabt.“ Für die Schüler war diese Form des Geschichtsunterrichts „sehr interessant, weil er es selbst erlebt hat und seine Gefühle schildert“, so die 15-jährigen Yonca Hocalar und Saskia Becker.

(RP)
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