Kempen Die rationale Welt braucht die Kreativen

Kempen · Am Samstag beginnt das 11. Niederrhein-Festival, das die Flötistin Anette Maiburg und die Kölner Konzertagentin Susanne Geer leiten. Maiburg, die auch in Kempen schon auftrat, bemerkt eine Zunahme an Wertschätzung für Musik.

Wenn man sich als Gesellschaft weiterentwickeln will, kann man nicht auf Kultur verzichten. Davon ist die Flötistin Anette Maiburg felsenfest überzeugt. Zwar ist die Musikerin gerade extrem eingespannt zwischen organisatorischen Fragen und eigenen Proben für das Niederrhein-Festival, das sie zusammen mit Susanne Geer aus Köln veranstaltet, aber nichtsdestotrotz ist sie im Internet unterwegs, liest Bücher und hört Vorträge als Podcasts. So hat sie für sich die aktuelle Quantenphysik entdeckt und festgestellt, dass gerade bei vielen maßgeblichen Naturwissenschaftlern eine hohe Wertschätzung für Musik und Musiker vorherrschend ist. Während vielfach in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion Kultur immer noch als Luxus bezeichnet werde, auf den man als erstes verzichten und die Gelder dafür streichen könne, seien die Wissenschaftler bereits einen erheblichen Schritt weiter.

"Die klassische Musik wird bleiben", sagt Anette Maiburg und lacht gut gelaunt. Geistesgrößen wie Goethe oder da Vinci seien nicht bei einer Disziplin stehengeblieben. Viele Wissenschaftler spielen neben ihrer Forschung auch ein Musikinstrument. So habe der Physiker Werner Heisenberg recht gut Klavier gespielt, es gibt sogar eine Aufnahme von ihm mit Mozarts Klavierkonzert d-moll. Maiburg liest gerade viel vom Gehirnforscher Gerald Hüther, der das Gehirn als ein dynamisches Organ begreift, das durch das Leben des Menschen geformt wird. Wenn ein alter Mann Japanisch lernen wolle, müsse er sich in eine Japanerin verlieben. Dann klappe das am besten, ist eine seiner unkonventionellen Feststellungen. Wie sehr betrifft das gerade die Musik, die ohne Begeisterung, ohne Emotion nicht funktioniert?

In allen Bereichen unserer modernen Gesellschaft bemerkten die Menschen, dass sie sich in einer Sackgasse befänden. Anette Maiburg macht den Zeitpunkt des Umdenkens bei vielen an der Bankenkrise fest. Das Geld eigne sich nicht als einziger Wertmaßstab. Angesichts des Desasters, das angerichtet wurde, zeige die Wissenschaft, dass nicht Maschinen und Computer der Weisheit letzter Schluss seien, sondern die Kreativität des Menschen viel wichtiger sei. "Denken ist Dünger fürs Gehirn", sagt Hüther. Maiburg verweist auch auf den Querdenker und Quantenphysiker Hans-Peter Dürr (1929-2014), einen Schüler von Werner Heisenberg. Mit diesem Satz wird Dürr vielfach zitiert: "Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können." Anette Maiburg folgt Dürr und verweist auf die Energie oder das Geheimnis, das durch das Musizieren entstehe und nach dem Konzert wieder verschwinde. Die Wirklichkeit hinkt dem Wandel im Denken hinterher. Das ist Maiburg klar - gerade wenn sie Statistiken über durchschnittliche Jahreseinkommen freischaffender Künstler sieht. In klingender Münze zahlt sich die neue Wertschätzung noch nicht aus.

(RP)
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