Willich Bäume stürzten, Dächer flogenÜben für den Ernstfall

Willich · Das Sturmtief "Xynthia" hielt gestern auch die Menschen im Kreis Viersen in Atem. 257 Einsätze hatten die Feuerwehren in allen Kommunen des Kreises bis 18 Uhr, 244 Leute waren im Einsatz. Jung-Sanitäter von fünf Schulen kamen zur Schulsanitätsdienst-Challenge der Malteser in Schiefbahn zusammen. Mit einem Erfolg für das Gymnasium St. Bernhard, das sich für den Bundeswettbewerb in Dortmund qualifizierte.

Kreis Viersen Schwerpunkt der Einsätze war bis 18 Uhr der Westkreis. Erst gegen 18 Uhr nahm der Orkan auch im Ostkreis an Fahrt auf. In Willich ging ein Teil des Dachfläche von der Gesamtschule fliegen. Im Kreuzungsbereich Düsseldorfer Straße/Im Lingesfeld lag eine Pappel halb auf der Fahrbahn. Vor allem an der Krefelder Straße war einiges los. Zuerst stürzte eine etwa 15 Meter hohe Birke zwischen den Häusern 51 und 53 auf Gehweg und Straße. Mit einer starken Motorsäge war das Hindernis von den Wehrmännern gerade aus dem Weg geräumt, als sich etwa 200 Meter weiter an einem Rohbau Teile einer erst vor zwei Tagen gesetzten Giebelwand lösten und vom nebenstehenden Gerüst aufgefangen wurden.

Einfamilienhäuser evakuiert

Man musste Schlimmeres befürchten: den Einsturz des seitlichen Gerüstes, das den ebenfalls direkt daneben platzierten Kran aus dem Gleichgewicht hätte bringen können. Polizei und Stadt-Wehrfühher Thomas Metzer waren sich schnell einig und evakuierten die daneben und dahinter liegenden Einfamilienhäuser. Die betroffenen Familien wurden von Nachbarn aufgenommen. "Sonst hätten wir sie erst einmal ins Feuerwehrgerätehaus gebracht", kommentierte Einsatzleiter Herbert Aretz.

Von der Drehleiter aus sahen sich Thomas Metzer und Dachdecker Leo Nys die Schäden an. "Eine verzwickte Situation", meinte Unternehmer Stefan Scheulen. Erst vor zwei Tagen hatten seine Maurer die Wand hochgezogen. Am späten Abend wurden Gerüst und Kran gesichert. Derweil Mitarbeiter des Bauhofes das Teilstück der Krefelder Straße absperrten und Umleitungsschilder aufstellten. Auch die Verkehrsbetriebe wurden informiert. Betroffen war der Bereich von Behringstraße bis zur Umgehung.

In Tönisvorst hat Sturmtief "Xynthia" kaum ein Werbeplakat verschont. Leitpfosten und Verkehrsschilder knickten um. Selbst Schutzbleche an Ampelanlagen wurden weggeweht. Für die Feuerwehr in St. Tönis war es ein arbeitsreicher Sonntag: allein ab 15 Uhr verzeichnete sie in zweieinhalb Stunden 15 Einsätze. Laut Frank Meier, als stellvertretender Löschzugführer mit rund 20 Kollegen im Einsatz, sorgten besonders umstürzende oder beschädigte Bäume für Probleme. "Bei dem aufgeweichten Boden haben die nämlich weniger Halt", so Meier. "Xynthia" gehöre wie "Kyrill" oder "Emma" zu den Sturmtiefs, wie man sie in den vergangenen Jahren immer häufiger erlebe – auf der einen Seite kein Grund zur Sorglosigkeit, auf der anderen jedoch auch kein Anlass für Superlative der Kategorie "Jahrhundertsturm".

Ausrücken mussten die Einsatzkräfte unter anderem zur Viersener Straße/Ecke Dammstraße. Dort sperrte sie einen circa 300 Meter langen Fußweg, der in Richtung Schulzentrum Corneliusfeld führt. Mehrere Platanen knickten samt Wurzeln um. Weitere drohten, den Windböen nachzugeben.

Zugverkehr lahmgelegt

Auf der Straße Nüss Drenk in Richtung Forstwald und Hückelsmay entstand ein weiterer Einsatzschwerpunkt. Die Straße wurde um kurz nach halb sechs vollgesperrt. Nach Feuerwehrangaben waren zudem Bäume in die Oberleitung der Zugstrecke Krefeld-Viersen gestürzt. Bald darauf stellte die Bahn vorsichtshalber den Regional- und Fernverkehr ein.

Die Bilder auf den Straßen glichen sich in ganz Tönisvorst: Abgebrochene Äste verwandelten die Straßen in eine Gefahrenzone für alle Autofahrer. Auf dem freien Feld bereiteten Böen von mehr als 100 Stundenkilometern Probleme, den Wagen in der Spur zu halten. Im Gewerbegebiet Tempelshof lösten sich etliche Werbebanner, Bauzäune fielen um. Wie ausgestorben war es trotz der Warnungen des Deutschen Wetterdienstes auf den Straßen jedoch nicht. Selbst Fußgänger watete – meist mit Hund – durch den peitschenden Regen.

Schiefbahn Auf dem Tisch liegen einen Klumpen Brotteig und eine Dose gelbes Haargel, daneben stehen Tuben mit tiefroter Flüssigkeit. Der Arbeitsplatz von Susanne Wagener gleicht einer Mischung aus Backstube und Kosmetikstudio. Dabei geht die Jüchenerin nur ihrem Hobby nach: Sie simuliert als Maskenbildnerin Arm-Amputationen, Glassplitter im Auge oder Pfählungsverletzungen – für die Mimen bei der Schulsanitätsdienst-Challenge der Malteser in der Diözese Aachen. Die Jung-Sanitäter kamen diesmal am Schiefbahner St. Bernhard Gymnasium zusammen, um sich kennenzulernen, auszutauschen und in zehn so genannten Fallbeispielen ihre Kenntnisse abzurufen.

Ruhe bewahren, Abläufe einhalten

Was genau hinter diesen Fallbeispielen steckt, verrät ein Zettel auf dem Arbeitstisch von Susanne Wagener. "Verbrennungen 3. Grades", "Herzinfarkt" oder "abgetrennter Arm" ist dort zu lesen. Die Schüler werden abwechselnd in Klassenräume geschickt, wo eine Notfallsituation auf sie wartet. "Sie erhalten lediglich ein Stichwort und müssen dann die Ruhe bewahren, feste Abläufe einhalten – eben Erste Hilfe leisten", sagt Christian Baumann, Referent für Sanitätsdienste bei den Maltesern. Fünf Schulen sind dabei: Die Gastgeber vom Gymnasium St. Bernhard, die Johannesschule aus Anrath, das Inda-Gymnasium aus Aachen sowie aus Krefeld die Robert-Jungk-Gesamtschule und das Gymnasium am Stadtpark.

Im Werkraum herrscht plötzlich Aufruhr. Sebastian Beuel mit schmerzverzerrtem Gesicht neben einer Kreissäge. Auf der Werkbank liegt eine abgetrennte Hand – zum Glück nur ein Produkt aus dem Gruselladen. Aus dem Stumpf an Sebastian Arm spritzt Blut – zum Glück nur die Arbeit der Maskenbildnerin. Alles sieht so echt aus, dass den Schulsanitätern wirklich der Schweiß ausbricht. "Ich brauche eigentlich hier… keine Ahnung", versucht Niklas von der Robert-Jungk-Gesamtschule, sich zu sammeln. "Ja, was brauchst Du denn?", fragt sein Partner hektisch. Es geht wild durcheinander. Was beiden nicht auffällt: Ihr "Patient" wird immer stiller, sackt nach und nach zusammen. "Bein hoch oder Bein runter?", sucht Niklas nach der richtigen Stellung für die Schocklage. Im Hintergrund surrt noch immer die Kreissäge.

Bei der Beurteilung hören Niklas und seine Kollegen andächtig zu. An ein paar Stellen sind sie durcheinander gekommen. Den Notruf an die Hilfskräfte haben sie richtig abgegeben, die abgetrennte Hand so gut wie möglich geborgen. Ein gemischtes Urteil. Doch dafür seien sie da, meint Christian Baumann: Zeigen, was sie können, lernen, was noch fehlt. "Es geht nicht unbedingt um den Wettbewerb."

Auf jeden Schulsanitäter kommt bei der Schulsanitätsdienst-Challenge ein Helfer. Alles ist genau ausgetüftelt – die Arbeit der Maskenbildnerin, die Abläufe der Fallbeispiele. Da alle Notfälle gespielt sind, muss jedoch auch ein Stichwort vereinbart werden, falls wirklich einmal etwas passiert. Rufe jemand "real", wisse jeder Bescheid, verrät Baumann.

(RP)
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