Tipp der Woche Das königliche Gefängnis in Anrath erleben

Anrath · Einmal Knastluft schnuppern ist in Anrath möglich: im Historischen Gefängnismuseum Niederrhein. Die Potthusaren, allesamt Mitarbeiter der JVA Willich, die das Museum betreiben, haben über mehrere Etagen eine Ausstellungsfläche geschaffen, die Knastleben über Jahrhunderte hinweg bis in die aktuelle Zeit präsentiert.

 Wolfgang Großkinsky, Geschäftsführer der Potthusaren, zeigt ein Modell des Gefängnisses Krefeld.

Wolfgang Großkinsky, Geschäftsführer der Potthusaren, zeigt ein Modell des Gefängnisses Krefeld.

Foto: Wolfgang Kaiser (woka)

Mit einem knarrenden Geräusch dreht Wolfgang Großkinsky den langen Schlüssel herum, öffnet die mit Metallplatten verstärkte Holztür und gibt den Blick auf den Innenraum frei. Es ist ein Sprung ins Gefängnis des 19. Jahrhunderts.

Eine schmale Pritsche, eine Waschschüssel mit Krug, ein Tisch, ein Stuhl, ein Schränkchen mit Essgeschirr und ein Kübel mit einem Deckel, um die Notdurft zu verrichten. Leben auf 7,5 Quadratmetern im königlichen Gefängnis von Anrath. „Es ist alles authentisch, bis auf die Kugel-Fußfesseln, die gab es einst nicht in den Zellen“, sagt Großkinsky und betätigt einen roten Hebel in der Zelle. An der Außenseite ertönt ein Klacken. Eine rote Metallklappe ist heruntergefallen. „Das war die Notrufanlage. Wenn ein Gefangener Hilfe benötigte, konnte er sich so bemerkbar machen. An einem Pult im Gefängnisflur stand ein Bediensteter und hatte den Gang im Auge“, erklärt er.

Der Geschäftsführer der Potthusaren weiß noch mehr zu berichten. Bei der Pritsche handelt es sich um ein sogenanntes Bochumer Bett. Das wurde tagsüber hochgeklappt, denn seinerzeit durften sich die Gefangenen über Tag nicht auf das Bett setzen oder gar legen. Sie sollten am Holztisch sitzen und in der Bibel lesen. Eine Zelle daneben zeigt das Leben der Gefangenen in der JVA von 1990. Statt roter Klappe gibt es eine Gegensprechanlage, und die Pritsche ist einem richtigen Bett gewichen.

Großkinsky macht auf die vielen Details aufmerksam, zu der auch die abgesperrte Lampe gehört, damit die Gefangenen dort nichts verstecken können. Im Historischen Gefängnismuseum Niederrhein der königlichen Potthusaren von 1982 gibt es aber noch viel mehr zu entdecken als die authentischen Zellen im alten Gewölbekeller.

Die Potthusaren, allesamt Mitarbeiter der JVA Willich, die das Museum betreiben, haben im Laufe der Jahre in dem ehemaligen Direktorenhaus der JVA Willich über mehrere Etagen eine Ausstellungsfläche geschaffen, die Knastleben über Jahrhunderte hinweg bis in die aktuelle Zeit präsentiert. Uniformen, angefangen von der preußischen Variante in Königsblau bis hin zum Schutzanzug der Moderne, dazu Sträflingskleidung, bei der das klassische blau-weiß-gestreifte Outfit nicht fehlt, oder historische Unterlagen vom Inspektorenbuch bis zu einstigen Vorschriften sind ebenso anzutreffen wie der Nachbau eines früheren Büros eines Vollzugsbeamten.

Unter Glas liegt das Nachtdienstbuch, in das alle Vorkommnisse eingetragen wurden. Wenn Großkinsky das von 1975 bis 1997 geführte Bestandsbuch aufschlägt, kann der JVA-Beamte für jeden einzelnen Tag die genaue Insassenzahl der Anstalt nennen.

Im Flur der ersten Etage hängen die originalen Bauzeichnungen der JVA von 1904 vom Landesbauinspektor Haltermann. Ein Stückchen weiter glänzt ein Spaten an der Wand. „Das ist der Spaten, mit dem 2009 der erste Spatenstich für den Neubau der JVA erfolgte“, sagt Großkinsky.

Die Essensausgabe mit Blechnäpfen von anno dazumal und der Transport von Gefangenen werden im Museum lebendig. Gruselig wird es, wenn Großkinsky den Bildbetrachter für die Röntgenbilder im Krankenraum anstellt. Originalaufnahmen leuchten auf und zeigen, was Insassen alles geschluckt haben.

Der Besucher stößt auf die Präsentation von Schmuggelverstecken und Waffen, die Gefangene aus den unterschiedlichsten Utensilien gebaut haben: eine Schleuder aus Zahnbürsten oder ein Schlagring aus den Metallhalterungen von Wäscheklammern. Da gibt es das zu einer Kochstelle umgebaute Bügeleisen und die Destille, aus einem Haftmülleimer hergestellt. Da ist der selbstgebaute Tauchsieder, aus Utensilien wie Löffeln und Rasierklingen kreiert, genauso zu bestaunen wie die aus einem Rasierapparat und einem Kassettenrecorder konstruierte funktionsfähige Tattoomaschine.

Das kunstvoll aus Bettlaken geflochtene Seil, die Ausstellung über die Gaunerzinken – alles gibt einen Einblick in das Leben hinter Gittern.

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