Kolumne Himmel und Erde Das Vermächtnis der Anne Frank

Das Tagebuch der Anne Frank ist heute weltweit Pflichtlektüre an unzähligen Schulen – das muss so bleiben. Sie dürfe nicht vergessen werden, wie unser Kolumnist Thomas Brödenfeld schreibt.

 Wesels Superintendent Thomas Brödenfeld

Wesels Superintendent Thomas Brödenfeld

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Vorgestern wäre sie 90 Jahre alt geworden. Tatsächlich wurde sie nur 15 Jahre alt. Anne Frank starb im Februar oder Anfang März 1945 im KZ Bergen-Belsen an den Folgen von Krankheit und Hunger und den unmenschlichen Qualen, die sie seit ihrer Verhaftung am 4. August 1944 im Versteck ihrer Familie im Haus Prinsengracht 263 in Amsterdam in den verschiedenen Konzentrationslagern erlitten hatte. Ihr Tagebuch, das sie an ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 geschenkt bekam, gehört zu den wichtigsten Zeugnissen über die Judenverfolgung und den Holocaust. Anne Franks Tagebuch, dem sie selber den Namen „Kitty“ gab, ist in mehr als 70 Sprachen übersetzt und Weltdokumenterbe der Unesco. 1,2 Millionen Touristen stehen in Amsterdam jedes Jahr vor dem Museum mit dem Hinterhausversteck Schlange, um sich einen Eindruck über die Lebensverhältnisse der Familie Frank und der anderen versteckten Juden zu machen, die sich unter beengten und gefahrvollen Verhältnissen etwas über zwei Jahre dem Zugriff der Nazis entziehen konnten. Im August 1944 wurden die Hoffnungen der Untergetauchten auf Rettung durch die inzwischen in der Normandie gelandeten alliierten Truppen jäh zerstört. Ihr Versteck wurde verraten, alle acht dort lebenden Personen kamen umgehend in verschiedene Konzentrationslager, wurden gequält, erniedrigt, vergast oder starben entkräftet an den Folgen von Hunger und Seuchen. Annes Vater Otto Frank überlebte als einziger der Familie das Grauen der Vernichtung und wurde am 27. Januar 1945 bei der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gerettet. Annes Tagebuch aber konnten die Nazis nicht auslöschen. Es wurde durch eine der Helferinnen der Versteckten dem Zugriff der Gestapo entzogen und bis zum Kriegsende und der Befreiung an einem sicheren Ort aufbewahrt und danach dem Vater Otto Frank übergeben. Das Tagebuch der Anne Frank ist heute weltweit Pflichtlektüre an unzähligen Schulen und soll junge Menschen sensibilisieren, vor Unrecht, Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung nicht die Augen zu verschließen. Mich selber hat das Tagebuch der Anne Frank als Schüler tief bewegt und erschüttert. Anne Frank hat ihrem Tagebuch ihre Wünsche und Träume, ihre Hoffnungen und Sehnsüchte, aber auch ihre Ängste und Fragen, ihre Wut und ihre Traurigkeit anvertraut. Es ist ein Dokument der Menschlichkeit und der ehrlichen Gefühle eines Mädchens, das nichts weiter will, als frei und unbeschwert zu leben. Auch heute noch werden diese elementaren Rechte von Menschen, frei zu leben, in vielen Staaten verletzt und mit Füßen getreten. Das Tagebuch der Anne Frank ist deshalb nach wie vor Auftrag und Verpflichtung an uns alle, in dem Bemühen um Menschenrechte nicht nachzulassen.

Thomas Brödenfeld, Superintendent

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