Wesel „Er bleibt immer unser drittes Kind“

Wesel · Eltern aus Wesel und Umgebung, die vor, während oder nach der Geburt ein Kind verloren haben, können sich künftig einer Selbsthilfegruppe anschließen, die die Weselerin Bettina K. (Name geändert) und ihr Mann gründen möchten.

 Auf dem Caspar-Baur-Friedhof gibt es ein Grab für früh verstorbene Kinder des Marien-Hospitals.

Auf dem Caspar-Baur-Friedhof gibt es ein Grab für früh verstorbene Kinder des Marien-Hospitals.

Foto: Klaus Nikolei

Werden Bettina K. und ihr Mann Michael (alle Namen der Familie wurden geändert) gefragt, wie viele Kinder sie haben, antworten die beiden: „Drei.“ Tochter Lara ist acht, Sohn Max drei Jahre alt. Und Jonas wäre heute fünf. Doch er kam tot zur Welt, im vierten Monat – ein Sternenkind.

„Aber natürlich bleibt er immer ein Teil unserer Familie. Er ist hier, auch wenn er nicht da ist“, sagt Bettina K., die weiß, wie hilflos sich viele Eltern fühlen, die vor, während oder kurz nach der Geburt ihr Kind verloren haben. Deshalb bedauert sie auch, dass es bislang in Wesel keine Anlaufstelle gibt, um die Trauer zu bewältigen und ins Leben zurückzufinden. Weil sie in einer Selbsthilfegruppe in Dinslaken beste Erfahrungen gemacht hat, möchte sie nun in Wesel eine ähnliche Gruppe gründen, in der der Erfahrungsaustausch und das Verständnis für einander an erster Stelle stehen (Infobox).

Noch immer fällt es Bettina K. nicht leicht, über die Zeit ihrer Schwangerschaft mit Jonas und seinen Tod zu sprechen.

Rückblende: Bettina und Michael K. sind glücklich. Drei Jahre nach der Geburt von Tochter Lara kündigt sich Ende 2012 erneut Nachwuchs an. Bei einer Untersuchung hat der Arzt festgestellt, dass das Kind „tendenziell ein Junge wird“. – „Ich bin regelmäßig alle zwei Wochen zur Untersuchung gegangen“, sagt Bettina K. „Auch an diesem Freitag, als bei der Ultraschalluntersuchung plötzlich kein Herzschlag mehr zu sehen war.“ Worte können kaum beschreiben, was in der jungen Mutter vorgeht. „Es war so, als sei man aus dem Leben gekickt worden.“ Erst zu Hause realisiert sie, was wirklich passiert ist.

Im Weseler Marien-Hospital bringt sie das Kind dann nach Einnahme von Wehen- und Schmerzmitteln zur Welt. „Man hat sich wirklich rührend um uns gekümmert. Wir sind immer noch unglaublich dankbar, mit wie viel Rücksicht und Anteilnahme der größte Teil des Personales hier arbeitet.“ Man spricht im Anschluss über die Bestattung und welche Möglichkeiten es gibt. „Aber dann hört es auch schon auf. Ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen und wir fühlten uns so alleine. Wir wussten nicht wohin mit uns“, sagt Bettina K.

Gut drei Monate später wird Jonas, wie das Ehepaar seinen Sohn genannt hat, auf dem alten Weseler Friedhof an der Caspar-Baur-Straße beigesetzt – zusammen mit 48 anderen Sternenkindern. 49 zum Teil liebevoll dekorierte Holzkästlein liegen in einem Kindersarg. Für Michael K. und seine Frau ist es richtig, Jonas würdig zu beerdigen. An dem Grab, in dem zwei bis drei Mal pro Jahr mehrere Dutzende Sternenkinder beigesetzt werden, stehen Windlichter, kleine Engel aus Keramik, Spielzeug.

Einen allgemeingültigen Weg, den Verlust eines Sternenkindes zu verarbeiten, gebe es nicht, sagt Bettina K.: „Außerdem trauern Männer und Frauen anders. Das hat man uns schon im Hospital gesagt.“ Sie selbst braucht mehr als ein Jahr, um sich Hilfe zu suchen. Im Gespräch mit der Lebensberatung der Weseler Caritas stößt die heute 32-Jährige auf eine Selbsthilfegruppe in Dinslaken, die sie als „fantastisch“ beschreibt. „In der Gruppe merkt man, dass man ganz normal tickt, wenn man erzählt, dass man wütend ist auf jede Frau, die ein Baby hat.“ Trauer zuzulassen und darüber zu reden sei ein erster Schritt, um mit dem Verlust zurechtzukommen.

Zwischen vier und zehn Frauen sprechen in der Selbsthilfegruppe über sich, ihre Gefühle und über ihre Sternenkinder, die manchmal auch als Schmetterlingskinder bezeichnet werden. „Männer sind und waren schon immer genauso willkommen – aber deutlich weniger anzutreffen.“ – „Die meisten Männer ticken in dieser Situation anders als Frauen. Wir machen viel mit uns aus, wollen die Trauer unserer Frauen nicht noch weiter anstacheln und machen viel mit uns alleine aus“, erzählt Michael K. „Mir hat meine Frau geholfen. Ich habe durch sie und mit ihr getrauert. Aber mir ist durchaus bewusst, dass das nicht auf alle Männer zutrifft. Hier gibt es keinen richtigen Weg.“

Im Freundeskreis hat das Ehepaar übrigens kein großes Geheimnis aus dem Tod von Jonas gemacht. „Auch wenn wir es nicht jedem sofort auf die Nase gebunden haben“, sagen die beiden. An den Reaktionen habe man merken können, dass das Thema Sternenkinder in weiten Teilen der Gesellschaft tabu ist und dass das Umfeld nur ein begrenztes Verständnis für die offen gezeigte Trauer habe. Kommentare wie „Ihr seid noch jung, das klappt schon noch“ waren keine Ausnahme. „Man spürt schnell“, sagt Michael K. „wenn jemand insgeheim denkt, ‚Stellt euch nicht so an. Ihr habt doch schon ein Kind’. Dann spricht man besser nicht weiter darüber.“

Wo und wann sich auch in Wesel die Eltern von Sternenkindern treffen, steht noch nicht fest. „Ich stelle mir vor, dass Eltern, die in dieser Situation sind, noch in der Klinik einen Flyer oder eine Nummer bekommen, unter der sie sich melden können, um nicht alleine dazustehen.“ Denn Bettina K. weiß, wie gut es tut, sich mit Menschen auszutauschen, die den gleichen Verlust erlitten haben. Auch wenn ihre Sternenkinder immer Teil ihres Lebens bleiben werden. „Ich, nein, wir möchten einen Ort schaffen, an dem Trauer und Verständnis an erster Stelle steht. Kein Richtig, kein Falsch, keine Vorwürfe, keine klugen Ratschläge oder Unverständnis. Wenn wir auch nur einem Betroffenen helfen, lohnen sich die Mühen.“

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