Interview Stadtmarketingchef Thomas Brocker „Die Bürger merken, dass es ihre Stadt ist“

Wesel · Der Leiter des Stadtmarketings in Wesel spricht über Wesel als Marke, die Bedeutung des Esels und neue Veranstaltungen in 2020.

 Blick in eine gut gefüllte Fußgängerzone zum Hansefest. Mit vielen solcher Aktionen will Stadtmarketingchef Thomas Brocker auch in den kommenden Jahren die Innenstadt beleben.

Blick in eine gut gefüllte Fußgängerzone zum Hansefest. Mit vielen solcher Aktionen will Stadtmarketingchef Thomas Brocker auch in den kommenden Jahren die Innenstadt beleben.

Foto: Klaus Nikolei

Herr Brocker, ist es zum Start eines neuen Jahres in Ihrer Branche möglich, eine Bilanz zu ziehen? Wie kann Stadtmarketing Image und Selbstbild einer Stadt verändern?

Thomas Brocker Es ist in meiner Branche immer schwer, eine Bilanz zu ziehen, auch weil wir auf vielen Feldern unterwegs sind und die Zeit nicht stillsteht. Wir haben aber sicherlich mit neuen Formaten wie Open-Air-Kino, Kultur-Genuss-Kultur und der endgültigen Etablierung des Feierabendmarktes ein anderes Leben in die Stadt gebracht, andere Leute begeistert. Wir hatten vier ausverkaufte Abende mit dem Open-Air-Kino, wir hatten drei Tage Kultur-Genuss-Kultur, die Leute haben gesessen, gefeiert, ein gutes Unterhaltungsprogramm gehabt. Es ist schön zu sehen, wie Leute zusammenkommen, genießen und das Programm gemeinsam wahrnehmen.

Sie konzentrieren sich nicht allein auf Marketing in Form von Kampagnen. Das Stadtmarketing ist hier oft aktiver Teil des Veranstaltungsgeschehens.

Brocker Das ist zum Teil aus der Historie heraus so, weil wir die Veranstaltungskaufleute der Stadt vor Jahren alle mit übernommen haben und mit PPP-Tagen oder Hansefest viele Veranstaltungen ohnehin schon gemacht wurden. Ich glaube, dass Stadtmarketing einfach funktionieren kann, wenn man versucht, es nah bei den Bürgern zu machen. Bei all dem, was wir jetzt machen, werden die Wünsche der Bürger in Veranstaltungen und Formate übersetzt. Das Wesel-Gefühl soll verstärkt werden. Bei Umfragen wird  der Auesee als das genannt, was die Menschen an Wesel schätzen. Deshalb stärken wir diesen Ort. Die Leute sollen sich noch lieber am Auesee aufhalten, die Veranstaltungen sollen das Auesee-Gefühl noch verstärken. Deshalb freue ich mich auch so, dass wir im September  das Bulli-Festival hier zu Gast haben. Das passt voll in die Schiene, wie wir Wesel zeigen möchten.

Kann man sagen, dass Sie ein volksnahes Stadtmarketing machen? Sie bieten keine hochtrabende Kultur, nicht verkopft, stattdessen einen einfachen Zugang.

Brocker Wichtig ist, dass wir viele Menschen für unsere Ideen begeistern. Nur wer mit Wesel zufrieden ist, trägt das auch nach außen. Eines der Prunkstücke des Weseler Veranstaltungskalenders ist in dieser Hinsicht der Esel-Rock. Da sind 100 Jugendliche, die gemeinsam ein tolles Konzertwochenende veranstalten, die sind so intensiv mit Wesel verbunden und schaffen eine solche Identifikation mit der Stadt, das gelingt uns als Stadtmarketing in dieser Form bei dieser Generation nicht. Also muss das Eselrock-Festival unterstützt werden.

Welche Pläne haben Sie für das gerade begonnene 2020?

Brocker Wir versuchen, die Weseler mit bestimmten Formaten anzusprechen. Der Adventsmarkt mit Weseler Vereinen ist ein Beispiel, das Vereinsfest, das Format Wesel erleben soll den Erlebnisfaktor künftig noch stärker betonen. Früher war es das Gourmetfest. Mit Gastronomie funktioniert es aber nicht mehr. Wir müssen schauen, wie wir den Dreh kriegen, die Veranstaltung neu aufzuladen. Mit den Veränderungen am Berliner Tor, dort zieht ja das Brauprojekt 777 ein, ergeben sich neue Chancen. Wir wollen die Leute mehr mitnehmen, mehr Räume bieten. Generell gilt: Es muss chilliger werden. Die Veranstaltungen sollen den Gemütlichkeitsfaktor anheben. Der Kornmarkt ist durch Außengastronomie gemütlicher, das Berliner Tor und der Markt bieten mehr südländisches Flair. Der Niederrheiner ist ja per se kein gestresster Mensch.

Wovon sollte er auch gestresst sein? Haben Sie das Gefühl, dass durch die Veranstaltungen und das Wirken des Stadtmarketings schon ein anderes Wesel-Gefühl entstanden ist?

Brocker Ja, es gibt dieses neue Gefühl. Natürlich trifft man immer noch Leute, die behaupten, in Wesel sei nichts los. Die Skeptiker sind weit weniger geworden, dazu haben ganz viele beigetragen. Dass es das Scala gibt, ist glorreich. Das ist ein Anlaufpunkt für die freie Kulturszene geworden. Auch in den Trapphallen passiert eine Menge. Es gibt im kommenden Jahr neue Formate, an denen sich Private versuchen. Im Yachthafen soll ein Hafenfest entstehen. Da muss man schauen, wie sich das entwickelt. Rund um die Niederrheinhalle wird es Highlandgames geben. Die gesamte Entwicklung der vergangenen zehn Jahre trägt sehr zum Selbstbild der Stadt bei. Die Bürger merken immer mehr, dass es ihre Stadt ist. Wenn man heute durch die Innenstadt läuft, dann erkennt man, wie viel in den vergangenen 15 Jahren passiert ist.

Sie sind ja im Stadtmarketing auch vernetzt mit anderen Experten anderer Städte. Wie sehen die auf Wesel?

Brocker Aus Bocholt hören wir, dass die Wesel als eine Stadt wahrnehmen, die deutlich aufgeholt hat. Auch aus anderen Städten wird immer wieder auf Wesel und seine Formate geblickt. Wir sind auf einem ganz guten Niveau unterwegs.

Der Feierabendmarkt wird mittlerweile erstaunlich gut angenommen. Er ist etabliert. War damit zu rechnen? Zwischendurch sah es so aus, als hätte das keinen Bestand.

Brocker Man muss etwas dauerhaft veranstalten, damit es Zulauf bekommt. Mit ein bis zwei Märkten pro Jahr wird man das nicht hinbekommen. Anfangs hatten wir einen viel höheren Anteil an klassischem Marktgeschehen. Da merkt man dann aber, dass es nachmittags nicht so gefragt ist. Nachmittags geht es auch hier eher um Gemütlichkeit, Austausch, Genießen von Zeit, das Einkaufen von Genussmitteln wie Trockenfrüchten oder Biogemüse kommt dann dazu. Wir haben das dritte Jahr abgeschlossen. Ich hatte nach dem Ende des zweiten Jahres ehrlich gedacht, dass das Ende des Feierabendmarktes gekommen ist. Dann sind wir aber von den Händlern überrascht worden. Die forderten, dass wir in jedem Fall weitermachen sollen. Wir haben den Aufbau noch einmal verändert, in der Mitte ein Genusszentrum gestaltet. Mittlerweile gibt es ein Stammpublikum. So ein Markt ist aber immer wetterabhängig.

Kann man flexibler reagieren und bei schlechtem Wetter absagen?

Brocker Bei Gewitterlage oder Starkregen kann man absagen. Generell aber sollte man das Angebot vorhalten, auch an weniger guten Tagen. An jedem ersten und dritten Donnerstag sollte der Feierabendmarkt sein. Diese Regel soll bestehen bleiben. Wenn ein Händler nicht kann, dann können wir flexibel reagieren. Früher hatten wir einen festen Standplan, jetzt sind wir flexibler. Da haben wir auf Veränderungen in der Vergangenheit schon reagiert. Wir verschicken keine Standpläne mehr vorab. Wenn jemand kurzfristig absagt, packen wir in die Lücke jemand anderen. So bleibt das gesamte Bild erhalten, Lücken über 20 Meter sind fehl am Platz.

Wie nehmen Sie die Veränderungen in der City war? Wesel ist auf dem Weg zu einem neuen Einzelhandelskonzept.

Brocker Das Zentrenkonzept ist Steuerungsinstrument. Das ist sehr gut. Das Konzept wird regelmäßig erneuert. Letztendlich wird der Standort City dadurch gestärkt. Die Gewichtung, wie sie im vorhandenen Konzept steht, ist gut durchdacht. Die Entwicklung im  Handel ist auch in Wesel zu spüren – mehr Onlinehandel, weniger Frequenz in der City. Aber wir sind immer noch auf einem ganz guten Niveau in Wesel, auch was die Vielfalt angeht.

Ist die Fußgängerzone in Wesel zu lang? Es ist eine Wurst mit zwei starken Enden, auch einem starken Mittelteil. In Summe läuft man aber sehr lang.

Brocker Es ist eine Frage, wo man parkt, was man sucht. Die Innenstadtbesucher überlegen ja im Vorfeld genau, was sie kaufen wollen. Die Zielkäufe sind stärker geworden. Man kann nicht messen, wie viele vom Anfang bis zum Ende laufen. Durch das Wesel-Ticket kann man auch am einen oder anderen Ende parken. 800 Meter laufen, das kann man aber immer mal machen.

Mit Blick auf das auffälligste Tier der Innenstadt: Wer ist eigentlich wichtiger für das Stadtmarketing: der Brocker oder der Esel?

Brocker Ein Kunststoffesel denkt auf jeden Fall nicht so weit voraus.

Die Eselampel jedenfalls hat Wesel deutschlandweit Schlagzeilen gebracht.

Brocker Der Esel öffnet natürlich Türen, macht Wesel bekannt. Wenn beim Hansefest Leute auf uns zukommen, die uns fragen, ob wir den Spruch vom Esel und Wesel kennen, dann kann man vielleicht nicht mehr immer lachen. Generell aber schätze ich den Esel als Marketingbotschafter für diese Stadt. Uns freut, dass so viele den Esel kennen. Wie viele Städte haben schon die Möglichkeit, über ein einfaches Tool so in Verbindung zu kommen?

Wie geht es für Sie in Wesel weiter? Sie machen den Job in Wesel jetzt seit 13 Jahren.

Brocker Und ich mache ihn sehr gerne. Wesel ist meine zweite Station. Ich habe in Ratingen Stadtmarketing als ersten Schritt im Berufsleben gemacht. Dann suchte Wesel 2006 einen Stadtmarketingmann. So kam ich hierher. Mir macht es viel Spaß mit den Menschen hier. Viele Dinge wurden vor zehn Jahren angestoßen, werden nun gut angenommen. Das zeigt mir: Es ist noch lange nicht zu Ende.

Empfinden Sie Ihr Amt als ein politisches Amt? Wenn Sie einen guten Job machen, wenn es ein Wesel-Gefühl gibt, dann hilft das auch einer Stadtchefin.

Brocker Ich habe kein politisches Amt. Wir machen Stadtmarketing für die Stadt Wesel. Wenn das gut läuft, haben viele Leute Spaß daran.

Versucht die Politik Einfluss auf das Stadtmarketing zu nehmen? Wie sehr wird Ihnen hereingeredet?

Brocker Wir sind über den Ausschuss für Kultur und Stadtmarketing im Austausch mit der Politik. Dort berichten wir. Das funktioniert vertrauensvoll. Der Beigeordnete Rainer Benien ist zweiter Geschäftsführer, insofern sind wir in der Verwaltung gut verortet. Die Konstruktion, die Wesel vor 13 Jahren gewählt hat, ist richtig. Es passt. Was wir hier machen, kommt von uns.

Wir erleben einen glücklichen Stadtmarketing-Chef.

 Thomas Brocker ist Leiter des Stadtmarketings in Wesel.

Thomas Brocker ist Leiter des Stadtmarketings in Wesel.

Foto: Klaus Nikolei

Brocker Das Zusammenspiel gelingt in dieser Stadt einfach prima, auch mit den sogenannten Standortpartnern. Mit der Wirtschaftsförderung haben wir 18 Wesel-Partner beisammen. Das sind Privatunternehmen, die mit der Stadt Wesel gemeinsam Imagekampagnen machen. Wir werden im nächsten Jahr was mit den Schulen machen, wir haben den Wirtschaftsabend ins Leben gerufen. Da ist viel in Bewegung, das sind spannende Themen, die wir gemeinsam mit der Wirtschaft auf den Weg bringen.

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