Interview-Serie „Was machen Sie da?“ „Wir betreiben auch Seelsorge“

Wesel · In unserer neuen Serie sprechen wir mit Menschen über ihren Job, die sonst selten im Fokus stehen. Zum Beispiel mit Anita Bohnenkamp. Die Mehrhoogerin arbeitet im Reisezentrum im Weseler Bahnhof.

 Anita Bohnenkamp macht der Job als Mitarbeiterin des Reisezentrums im Weseler Bahnhof viel Freude. „Es macht Spaß, den Menschen zu helfen“, sagt sie.

Anita Bohnenkamp macht der Job als Mitarbeiterin des Reisezentrums im Weseler Bahnhof viel Freude. „Es macht Spaß, den Menschen zu helfen“, sagt sie.

Foto: Klaus Nikolei

Wer gut mit dem Computer umgehen kann und Zeit sparen möchte, der kann mittlerweile Bahntickets ganz bequem von zu Hause buchen. Aber es gibt noch immer Menschen, die wegen der Freundlichkeit und kompetenten Beratung der Bahn-Mitarbeiter ins Reisezentrum kommen. Ihnen merkt man an, dass Sie Ihren Beruf gerne machen.

Anita Bohnenkamp Das stimmt. Ich gehe sehr gerne zur Arbeit und behandele jeden Kunden so, wie ich selbst gerne behandelt werden würde. Wenn jemand zu mir kommt, bin ich auf den Kunden konzentriert und blende alles andere aus.

Sie wirken immer so gelassen, auch wenn die Schlange der Kunden mal länger ist.

Bohnenkamp Das sieht nur so aus. Innerlich bin ich schon sehr angespannt, aber das lasse ich mir nicht anmerken.

Wollten Sie immer zur Bahn und Fahrkarten verkaufen?

Bohnenkamp Nach Ende der Handelsschule, da war ich 19, habe ich überlegt, Rechtsanwältin zu werden, weil ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe. Ich habe auch mal darüber nachgedacht, Sozialarbeit zu studieren. Ich wollte einen sicheren Job und wollte mit Menschen zu tun haben. Deshalb habe ich mich entschieden, meine Ausbildung bei der Bahn als Beamtin im mittleren Dienst zu machen.

Waren Sie von Anfang an in einem Reisezentrum tätig?

Bohnenkamp Nein, mit 21 war ich unter anderem auf einem Stellwerk beschäftigt. Doch das war nicht das Richtige für mich – hier fehlten mir die Menschen. 1986 bin ich dann in die Fahrkartenausgabe nach Duisburg gewechselt. So hießen die Reisezentren damals noch. Außer einer dreijährigen Kinderpause bin ich also immer in Reisezentren tätig gewesen.

Und haben dabei viele Tausend Menschen bedient. Haben Sie auch schon mal bekannte Persönlichkeiten am Schalter gehabt? Sänger, Schauspieler?

Bohnenkamp Ja, hier in Wesel den Münchener Tatort-Kommissar.

Batic oder Leitmayr?

Bohnenkamp Batic. Es war also der Schauspieler Miroslav Nemec, der einen Auftritt bei den Marienthaler Abenden hatte. Miroslav Nemec war sehr nett. Nett war auch Claus Theo Gärtner von „Ein Fall für zwei“ im ZDF. Den hatte ich in Oberhausen. Zuerst haben die Leute ihn gar nicht erkannt. Doch als sie seine markante Stimme hörten, haben die Kunden getuschelt. „Das ist der Preis für die Bekanntheit“, habe ich zu ihm gesagt. Er hat gelächelt.

Ist es nicht oft so, dass die Bahnkunden erzählen wollen, warum sie wohin fahren und zu wem?

Bohnenkamp Ich höre sehr oft sehr persönliche Geschichten. Es ist tatsächlich so, dass ich hier auch Seelsorge betreibe. Ich kann mich, glaube ich, sehr gut in Menschen hinein versetzen. Ich selbst hatte vor sieben Jahren Krebs und spüre instinktiv, wenn jemand beispielsweise zur Kur fährt. Dann mache ich den Kunden Mut und sage: „Ist nicht so schlimm. Das kenne ich auch.“ Wichtig ist für mich, dass wir hier nicht wie Computer wirken, sondern vor allem älteren Kunden Ängste nehmen. Zum Beispiel weiß kaum jemand, dass die Bahn Menschen mit Gehbehinderungen Einstieghilfen anbietet. Man muss das nur rechtzeitig vorher anmelden, dann wird das alles organisiert.

Haben Sie für Ihre Hilfe schon mal ein Geschenk von einem dankbaren Kunden erhalten?

Bohnenkamp Ja. Zum Beispiel einen selbst gebackenen Kuchen oder auch eine selbst gestaltete Karte.

Wann sind Sie zuletzt mit der Bahn gefahren und wie war das?

Bohnenkamp Zum Urlaub an die Ostsee. Prima war das.

Haben Sie mal eine gefährliche Situation erlebt? Sind Kunden schon mal ausgerastet vor Wut?

Bohnenkamp Wenn Züge gar nicht fahren, dann sind Leute schon mal ungehalten. Aber wir behalten die Ruhe und versuchen als Ansprechpartner, so gut es geht eine Lösung zu finden. Alles in allem kann ich nur sagen, dass ich eigentlich jeden Tag gerne zur Arbeit gehe und ich nichts anderes tun möchte als das, was ich jetzt tue.

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