Wesel Über Dichtung und Wahrheit

Meinung | Wesel · Der Fall Relotius lädt dazu ein, über den Konrad-Duden-Journalistenpreis nachzudenken. Eine Jury muss die Kraft besitzen, den Preis zurückzunehmen, wenn der Text auf Lügen basiert.

 Viele der Reportagen von Claas Relotius erschienen im Spiegel

Viele der Reportagen von Claas Relotius erschienen im Spiegel

Foto: dpa/Bodo Marks

Eines vorweg: Es wäre ein vorschnelles Urteil, aufgrund der betrügerischen Arbeit eines einzelnen Journalisten von der Krise einer ganzen Branche zu reden. Claas Relotius, begnadeter Schreiber, mit 33 Jahren schon Vorbild für viele junge Journalisten, hat eingeräumt, in zahlreichen seiner Reportagen für den „Spiegel“ Quellen, Orte und Zitate erfunden zu haben. Auch in der in Wesel Anfang 2018 preisgekrönten Spiegel-Story „Nummer 440“ über einen jungen Jemeniten in Guantanamo hat er es mit der Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit nicht allzu genau genommen. Eine Krise des Journalismus ist das aber noch nicht: Für uns Journalisten gilt weiterhin die Maxime, die Spiegel-Gründer Rudolf Augstein ausrief: „Sagen, was ist.“

Jetzt hat Claas Relotius endlich mal gesagt, was ist: Er hat reagiert und seinen Preis zurückgegeben. Zumindest diese Reaktion ehrt ihn. Der Fall muss aber weiter Anlass für die Jury sein, Fragen zu stellen. Wenn nun nämlich die Juryvorsitzende ihrem Gremium intern mitteilt, dass man rechtlich keine Handhabe besitze, weil eben nur Sprachästhetik und Rechtschreibung, nicht aber inhaltliche Korrektheit bewertet wird, dann wirkt dieses Argument nicht ausgereift. Der Weseler Preis zeichnet immerhin journalistische Arbeit aus. Wichtigstes Prinzip für Journalisten ist doch, dass sie die Wahrheit schreiben. Und wenn sich eine Berichterstattung als falsch erweist, so ist sie selbstverständlich zu korrigieren. So handhabte es der Spiegel jetzt, so handhaben wir es auch in unserer Redaktion. Man kann also zweierlei schlussfolgern: Entweder werden die Ausschreibungskriterien des Konrad-Duden-Journalistenpreises verändert und in den Richtlinien wird schriftlich fixiert, dass die Texte wahrheitsgemäß geschrieben sein müssen. Der Zusatz aber sollte eigentlich unnötig sein, denn das Wesen des journalistischen Textes sollte immer die Wahrheit sein. Also sollte es auch eine Handhabe geben, den Preis abzuerkennen. Ansonsten sollte die Jury überlegen, ob sie ihren Preis künftig „Konrad-Duden-Preis für Rechtschreibung und Sprache“ nennt, ihn auch für den Literaturbetrieb öffnet.

Am Mittwoch wurde der Fall bekannt, am Donnerstag forderte mit Norbert Meesters (SPD) der erste Weseler Politiker, dass der Preis aberkannt gehöre. Beschleunigt durch soziale Medien nimmt ein solcher Fall schnell große Geschwindigkeit auf. Wie reagieren? Für die Juroren ist es natürlich eine Gratwanderung: Man will keinem Herdentrieb folgen, die Entscheidung einer Konsequenz für den Autor will überlegt sein. Trotz seiner betrügerischen Arbeit gibt es eine gewisse Fürsorgepflicht einer Jury für den jungen Autoren Relotius, der in wohl krankhafter Manier manipulierte, stets auf der Jagd nach der nächsten Auszeichnung. Das sagt eben auch viel über die Eitelkeiten dieser Branche, in der Reportagen auf bestimmte Journalistenpreise hin geschrieben werden. Journalistenpreise gelten als Karrierebeschleuniger. Wer als Redakteur einen solchen Preis erhalten hat, der hat im Kollegenkreis fortan die Legitimation, nicht mehr die Schwarzbrotarbeit zu machen, sondern nur noch die großen Reportagen zu schreiben. Das wohl wird der Antrieb von Relotius gewesen sein. Nicht als ein Journalist unter vielen arbeiten, sondern als der Star der Branche.

Dass sich Relotius als solcher verstand, dafür gab es erste Signale schon im Januar, als der junge Journalist in Wesel den Preis erhalten sollte, dennoch entgegen der Aufforderung der Jury nicht persönlich zur Verleihung erschien. Er begründete das damals damit, dass er zu Recherchezwecken in den USA sei. Damals fühlte sich unsere Redaktion an Bob Dylan erinnert, der sich ebenfalls herausnahm, zur Verleihung eines Preises nicht zu erscheinen. Es war der Literaturnobelpreis. Im Rückblick muss man über diesen textlichen Vergleich, der unserer Redaktion auch kritische Zuschriften beschert hat, ein wenig schmunzeln.

Wünschen wir also Claas Relotius, dass er fortan wie Dylan als Literat, Dichter oder Romancier große Erfolge feiert. Literatur muss schließlich nicht wahr sein.

(sep)
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