Im Evangelischen Krankenhaus Wesel „Besuchsdienst hat mir Schuss Menschlichkeit gegeben“

Wesel · Seit fast 30 Jahren besuchen Ehrenamtliche verschiedene Patienten im Evangelischen Krankenhaus in Wesel. Marlene Schröder gehört zu den Gründungsmitgliedern und wurde jetzt selbst von einer Ehrenamtlichen besucht.

 Gisela Scholten-Schmitt (58) und Marlene Schröder (74) haben sich durch einen Besuch im Krankenhaus kennengelernt.

Gisela Scholten-Schmitt (58) und Marlene Schröder (74) haben sich durch einen Besuch im Krankenhaus kennengelernt.

Foto: Maren Könemann

Als sich Marlene Schröder und Gisela Scholten-Schmitt zum ersten Mal trafen, da wussten sie noch nicht, dass es eine ganz besondere Begegnung werden würde. „Ich wachte auf, und dann sah ich da so eine große Gestalt neben mir stehen“, beschreibt Marlene Schröder das Treffen und schenkt Gisela Scholten-Schmitt ein ironisches Lächeln. Schröder leidet an Rheuma, damals war sie für eine Behandlung im Evangelischen Krankenhaus Wesel (EVK). Für die nächsten Stunden sollte Gisela Scholten-Schmitt ihre Gesprächspartnerin sein. Also fingen die beiden Damen an zu erzählen – und hörten lange nicht damit auf. Denn: „Es hat sofort gefunkt.“

Genauso funktioniert das Prinzip des Besuchsdienstes im EVK – der ehrenamtliche Besucher betritt das Patienten-Zimmer, stellt sich vor – und erzählt. Oder lässt vielmehr erzählen: „Die meisten wollen einfach über sich selbst reden, über das eigene Leben“, weiß Marlene Schröder. Woher sie das weiß? Sie selbst besuchte fast zwanzig Jahre lang zahlreiche Patienten im EVK und schenkte ihnen damit für eine Weile ihre Zeit und ihr Gehör.

Dass sie einmal selbst besucht wird, damit habe sie nicht gerechnet. „Es war schon toll für mich, dass ich auf einmal den Besuch bekam, den ich früher selbst gegeben habe.“ So gerne hätte sie noch länger den Besuchsdienst ausgeführt. Für sie sei es sehr schwer gewesen, das Ehrenamt aufzugeben, als sie vor zehn Jahren die Diganose Rheuma erhielt. „Ich war fix und fertig“, erzählt sie von diesem Moment. Um trotzdem dabei bleiben zu können, kommt Marlene Schröder aber weiterhin zu den monatlichen Treffen der ehrenamtlichen Besucher. Hier werden unter anderem die Begegnungen mit den Patienten besprochen. „Das war immer sehr hilfreich. Da haben wir viel gelernt, zum Beispiel, wie man mit dem Sterben umgeht“, sagt Schröder.

Der Besuchsdienst besteht bereits seit 1991. Gesine Gawehn, damals wie heute als Pfarrerin und Krankenhausseelsorgerin im EVK tätig, erkannte die Bedürfnisse vieler einsamer Patienten und begründete mit einer kleinen Gruppe ehrenamtlicher Damen – drei, um genau zu sein – den Besuchsdienst. Darunter war auch Marlene Schröder.

Die 74-Jährige, die unter anderem als Presbyterin und als Kirchmeisterin bei der evangelischen Kirchengemeinde tätig war, erinnert sich noch gut an ihre Anfänge. „Die ersten Besuche waren sehr aufregend“, sagt sie. Denn man wisse nie, was einen im Zimmer erwartet. Welche Patienten im Krankenbett liegen und wie es ihnen im Moment des Besuches geht, das bleibt bis zuletzt geheim – wegen der ärztlichen Schweigepflicht. Die Stationen könne man aber selbst auswählen. Manchmal habe Marlene Schröder sogar Patienten in Quarantäne besucht, in voller Montur mit Mundschutz und Schutzkleidung. „Das hat uns aber nicht abgeschreckt“, sagt sie. Gerade diese Patienten hätten sich nämlich immer besonders gefreut, denn zu ihnen käme selten jemand zu Besuch.

Der Besuchsdienst bedeutet für Marlene Schröder aber nicht nur geben, sondern auch bekommen. „Ich hatte in meinem Leben immer so viel mit Zahlen zu tun gehabt“, sagt sie und erklärt, dass sie über 40 Jahre lang selbstständig in der Hausverwaltung tätig war. „Wenn ich ins Krankenhaus kam, konnte ich alles loslassen.“ Es habe ihr sogar dabei geholfen, mit den Menschen um sie herum noch besser umzugehen. „Der Besuchsdienst hat mir einen Schuss Menschlichkeit gegeben“, sagt sie.

Das Gefühl, nach einem Besuch wie losgelöst zu sein, kennt auch Gisela Scholten-Schmitt. Die 58-jährige ehemalige Zahnarzthelferin ist zwar erst seit einem Jahr beim Berufsdienst tätig, kann sich ihren Alltag aber kaum noch ohne ihn vorstellen. „Ich gehe zwar immer mit Herzklopfen zu den Patienten rein, aber wenn ich rauskomme, ist es ganz toll“, sagt sie und macht dazu eine befreiende Bewegung mit ihren Armen. So als ob auch jetzt etwas von ihr abfallen würde. In den Gesprächen könne über alles mögliche geredet werden. Oft gehe es aber um die Vergangenheit des Patienten. Familie, Krieg, Kinder seien seien Themen, die die Menschen beschäftigen. „Man muss die Vergangenheit ansprechen, denn darin leben die Patienten“, sagt Marlene Schröder.

Ihre langjährige Erfahrung hat sie bei ihrem Treffen mit Gisela Scholten-Schmitt weitergeben können. „Ich habe ihr Mut gemacht, denn ich wusste genau, wie sie sich gerade fühlt“, erzählt die 74-Jährige. Dafür ist Gisela Scholten-Schmitt unendlich dankbar. Eines wird sie bereits jetzt nie vergessen: die Dankbarkeit der Patienten. „Da steht man an der Tür und will hinausgehen – und dann kommt ein ,Danke, dass Sie da waren’ aus tiefstem Herzen. Das ist so schön.“

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