Wesel Oldtimer-Leichenwagen als Schlafmobil
Wesel · Wo der 19-jährige Max Joosten aus Flüren auftaucht, sorgt er für erstaunte Gesichter. Der Abiturient fährt einen Mercedes Benz-Leichenwagen, Baujahr 1988. Pietätlos? Joosten findet es praktisch – sogar zum Mittagsschlaf eignet sich die Karosse.
Zum 18. Geburtstag wünschen sich Jugendliche in aller Regel Geld. Vielleicht auch ein neues Smartphone, Klamotten, eine Reise, ein Fahrrad oder – manchmal auch ein Auto.
Räder hat auch das Geschenk, das Max Joosten vor etwas mehr als einem Jahr von seinen Eltern zur Feier seiner Volljährigkeit bekommen hat. Aber nicht vier, sondern zwei. Denn bei einem der ungewöhnlichsten Präsente, das man sich für einen jungen Mann nur vorstellen kann, handelte es sich um einen ausrangierten Leichenwagen-Anhänger, angeboten von einem Beerdigungsinstitut in Alpen. Pietätlos? Mitnichten, sagt Max Joosten.
„Darin kann man gut schlafen oder bei Ausflügen auch Campingtisch und Stühle transportieren“, sagt Max Joosten, der kürzlich am Andreas-Vesalius-Gymnasium in Wesel sein Abitur bestanden hat. Dort kennt ihn fast jeder. Aufgefallen ist er aber nicht in erster Linie durch seine Körpergröße von 1,92 Meter, sondern wegen seines Fahrzeugs, mit dem er gelegentlich zur Schule gefahren ist: dem 30 Jahre alten, antrazitfarbenen 124er Mercedes-Benz-Leichwagen mit Gardinchen an den Fenstern und Christophorus-Plakette neben der Taste fürs Warnblinklicht.
In dem 136 PS starken Oldtimer hat es sich Max in Freistunden öfter mal bequem gemacht – hinten auf der Ladefläche auf einer Matratze. Ist das denn nicht gruselig in einem Auto zu schlafen, in dem schon Tausende Tote transportiert wurden? „Nein, überhaupt nicht“, sagt Max. „Ich bin ja mit Leichenwagen großgeworden.“
„Schuld“ an allem ist Vater Michael Joosten (47). Mit Anfang 20 hatte sich der Fan außergewöhnlicher Automobile zunächst einen alten Kübelwagen und wenig später den ersten gebrauchten Leichenwagen gegönnt. Bis vor zwei Jahren ist die vierköpfige Familie Joosten mit einem 6,32 Meter langen Mercedes-Benz 200-Leichenwagen unterwegs gewesen. Bis Vater Michael einen Kreuzbandriss erlitt und auf ein Automatik-Modell umsteigen musste, das bei Familie Joosten nur „Leiche“ heißt und bis vor zwei Jahren in Hannover unterwegs war. Mittlerweile erinnert nur noch ein Modell an den Fünfsitzer mit der überlangen Ladefläche.
Auf den ersten Blick ist „Leiche“, mit dem Vater und Sohn Joosten auch zu Oldtimertreffen fahren, nicht von einem noch im Dienst befindlichen Leichenwagen zu unterscheiden. Hinter der Windschutzscheibe liegen auch noch die Hinweisschilder „Sarg darf nicht mehr geöffnet werden wegen Ansteckungsgefahr“ und „Bestatter im Dienst“. Max lacht. „Einfach als Gag.“ Nur an den beiden Comic-Vogelkopf-Aufkleber auf den Seitenscheiben kann man dann doch erkennen, dass die „Leiche“ ein reines Privatfahrzeug ist. Kein Wunder also, dass Max Joosten kürzlich vor der Martini-Kirche unweit des AVG ein 15-Euro-Knöllchen unterm Scheibenwischer hatte „Ich hatte vergessen, die Parkscheibe weiterzudrehen. Normalerweise passiert dann nichts, weil Leichenwagen vor der Kirche stehen dürfen. Aber hier hat die Politesse offensichtlich gut aufgepasst.“
Die „Leiche“ zu fahren, ist übrigens gar nicht so leicht. Weil es ja keinen Innenspiegel gibt und man den Benz – wie bei einem Lieferwagen – nur mit Hilfe der Außenspiegel fahren kann. Max Joosten beherrscht das. Und demnächst wird das Fahren noch ein klein wenig komplizierter, wenn der Oldtimer eine Anhängerkupplung bekommt, damit Max endlich sein Geburtstagsgeschenk in Betrieb nehmen kann – und damit ganz sicher wieder für Aufmerksamkeit sorgen wird.