Wesel Warum ich beim Rudern den Swing suche

Wesel · Allein und mit Freunden übers Wasser gleiten, das Ziel nicht sehen können und am Ende immer etwas gewinnen.

 5. von links im RTGW-Achter auf einer Regatta in Essen-Kuperdreh

5. von links im RTGW-Achter auf einer Regatta in Essen-Kuperdreh

Foto: FAS

Platsch - Wusch --- Sssssst: Das sind die Geräusche, die mich seit 47 Jahren begleiten und immer wieder aufs Neue begeistern. Besonders dann, wenn man sie fast gar nicht hört. Dann ist das ein Zeichen dafür, dass der Bewegungsablauf stimmt und das Boot anfängt, zu laufen. Wenn acht Leute das absolut synchron hinkriegen, kein Wackler die Balance stört, dann ist er da - der Swing, der Ruderer süchtig macht.

Platsch - Wusch --- Sssssst: Das steht fürs Einsetzen der Blätter, das unmittelbar folgende Durchziehen und das dann deutlich langsamere Vorrollen mit dem Sitz zur Wiederholung des Ganzen. Immer wieder. Und in einem Rennen immer schneller. Wenn es sein muss 40 mal in der Minute. Die Symphonie der Bewegung mit 500 Watt Leistung pro Kopf bei jedem Schlag über 2000 Meter zu halten, schaffen nur sehr Wenige.

 Mit 14 als Schlagmann im Doppelzweier

Mit 14 als Schlagmann im Doppelzweier

Foto: Michael Schwager

Der Deutschlandachter hält die Weltbestzeit mit 5:18,68 Minuten. Sich damit messen zu wollen, ist für einen Otto Nomalruderer wie mich unmöglich. Schon gar nicht mit 58 Lenzen. Aber der Swing bleibt immer das Ziel.

Platsch - Wusch --- Sssssst braucht jahrelanges Üben, das nie aufhört und immer Gewinn durch das Glücksgefühl bringt. Dazu braucht es Selbstdisziplin, Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit für die Mannschaftskameraden, Vertrauen auf den Steuermann (Ruderer schauen ja immer auf das, was hinter ihnen liegt) und Kritikfähigkeit sind unerlässlich.

 Auch das ist Rudern: Pause auf einer Familienwanderfahrt über die Pfingsttage 1982 auf der Ems.

Auch das ist Rudern: Pause auf einer Familienwanderfahrt über die Pfingsttage 1982 auf der Ems.

Foto: FAS

Ohne Teamgeist geht nichts, zumal auch am Rande des Rudersports fast alles durch Ehrenamtliche gestemmt werden muss. Rudervereine sind auch keine Fitnessclubs, deren Service man als reiner Konsument in Anspruch nimmt. Absprache und Rücksicht sind wesentliche Bestandteile für das Funktionieren der Gemeinschaft auf dem Wasser und an Land.

Warum man das macht? Als Belohnung winken mit jeder Fahrt neue Abenteuererlebnisse und Freundschaften fürs Leben. Jede Tour ist anders, weil nicht nur Wetter und Strömungen wechselhaft sind, sondern auch die Crews sich jeweils neu formieren, Strecken und Gewässer ebenso variieren wie die Intensität des Schiffsverkehrs.

 Steuermann des ersten Weseler Frauenachters beim Anrudern am Samstag, 14. April 2018

Steuermann des ersten Weseler Frauenachters beim Anrudern am Samstag, 14. April 2018

Foto: Jasmin von Blomberg

Für mich begann das lebenslange Abenteuer Rudern im Sommer 1971. Meine Freunde Andreas, Michael und ich wurden elfjährig am Bootshaus der Ruder- und Tennisgesellschaft Wesel (RTGW) in die Obhut von Weseler Ruder-Legenden wie Euke Adolph, den Zwillingen Hermi und Irmgard Ridder sowie Kurt Dietrich gegeben. Das Areal Am Yachthafen 7 wurde schnell zur zweiten Heimat, denn aufs Wasser kamen wir Knirpse noch lange nicht.

 RP-Redakteur Fritz Schubert (58), seit 47 Jahren Mitglied der RTGW-Ruderabteilung, im Einer auf dem Weseler Sporthafen

RP-Redakteur Fritz Schubert (58), seit 47 Jahren Mitglied der RTGW-Ruderabteilung, im Einer auf dem Weseler Sporthafen

Foto: Jasmin von Blomberg

Bei schönstem Sonnenschein verbrachten wir Wochen im Ruderkasten, einem von Wasserbecken flankierten einbetonierten Vierer in einem recht schmucklosen Räumchen mit schmalem Oberlicht und manchmal geöffneter Tür. Heute wird auch in der Kinderausbildung sofort vermittelt, wie sich das anfühlt, allein in einem kippeligen Bötchen zu sitzen. Wir haben drauf warten müssen, die ersten Fahrten in Vierern gemacht und erst nach zwei, drei Jahren auch schmale Einer und Doppelzweier ausprobieren dürfen.

Kein Ritterschlag, aber zumindest die Erhebung in den Knappenstand. Rennboote, die wirklich leichten, schicken, schnellen, aber auch ungeheuer teuren und empfindlichen Geräte blieben so lange tabu, bis die Großen uns zutrauten, fast so gut wie sie selbst zu sein. Entsprechend stolz waren wir Eleven dann.

Weil Rudern nicht allein als Leistungssport, sondern vor allem in Deutschland auch als Breiten- und Freizeitsport betrieben wird, habe ich bereits in den 70er Jahren viele Flüsse kennenlernen dürfen. Der schon damals im Raum Wesel vielbefahrene Rhein war natürlich unsere Haustrecke. Erfahrene Frauen und Männer haben uns hier jahrelang mitgenommen, beim Steuern angeleitet und die Kenntnisse zum Führen von Sportbooten im Gewimmel der Berufsschifffahrt vermittelt.

Wanderfahrten - ob übers Wochenende oder 14 Tage - führten auf die Ems, die Weser, die Mosel, den Neckar, und natürlich immer wieder in die Niederlande bis ans Ijsselmeer und auf die friesischen Seen. Ostsee-Erfahrungen habe ich mit meinem zweiten Club, Die Dänemarkfahrer (DD, Vereinigung zur Pflege der deutsch-dänischen Rudererfreundschaft mit Sitz in Berlin), auf Etappen rund um Fünen gewonnen.

Die Teilnahme an Fahrten und Lehrgängen des Deutschen Ruderverbandes möchte ich schon deshalb nicht missen, weil auch sie immer den Gewinn brachten, mehr über den Sport und seine Bedingungen zu erfahren, andere Leute mit gleichen Sorgen, Wünschen und Erfolgserlebnissen kennenzulernen. Das schafft ein nützliches Netz von Verbindungen. Und es macht gelassener, wenn man wieder auf der Suche nach dem Swing ist.

Warum man das trotz Tausender Kilometer immer noch macht? Weil die Erinnerung nicht stirbt, sondern das Streben nach Perfektion befeuert. Ein harmonisch im Takt bewegter Doppelvierer - ob schmales Renn- oder breites Gig-Boot - ist in jedem Tempo eine Augenweide, macht der Mannschaft selbst den meisten Spaß.

Ich kann das leider nicht mehr, weil Unfallverletzungen meine linke Hand fast unbrauchbar gemacht haben. Und beim Skullen wird eben jede Hand gebraucht, weil jede ein Skull (Ruder) hält. Fürs Riemen (beide Hände an einem Ruder) ist meine Einschränkung auch nicht toll. Aber es geht. Die Suche nach dem Swing geht zum Glück für mich immer weiter.

Unlängst machte sie mich wieder um eine Erfahrung reicher. Nach zugegeben längerer Pause haben wir - zwei Frauen und zwei Männer, alle jenseits der 50 - einen Riemen-Rennvierer ohne Steuermann auf dem Auesee bewegt. Es war eine etwas holprige Fahrt, obwohl wir eine Reihe von Übungselementen eingebaut haben, um mehr Ruhe ins Boot zu bringen.

Aber der Swing mochte uns nicht beehren. Gemeldet haben sich noch am gleichen Tag bei mir einige lange nicht benutzte Muskeln im linken Bein. Tags darauf kam ich kaum die Treppe rauf. Ein herrliches Gefühl: Du hast etwas getan, was lange nötig war und dringend wiederholt werden muss.

Vor Augen und Ohren habe ich dann einen Altherren-Achter, den ich 2016 bei Eiseskälte auf der Nikolausregatta in Kettwig in Aktion sehen durfte. Vom Platsch - Wusch --- Sssssst war fast nichts mehr zu hören. Die Jungs im Rentenalter hatten genau im Moment des Vorbeifahrens den Swing. Das konnte ich ihren Gesichtern ablesen. Da müssen wir bald mal wieder hinkommen. Und das werden wir auch. Rudern ist nicht nur ein Sport. Rudern ist eine Lebenseinstellung.

Ein neuer Anfängerkursus für Erwachsene startet bei der RTGW-Ruderabteilung am Mittwoch, 2. Mai, mit einem Schnuppertag ab 19 Uhr am Bootshaus, Am Yachthafen 7. Infos unter www.rudern-wesel.de

(fws)
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