Analyse Verspielt?

Wesel · Das Spielwarengeschäft Franck in Wesel muss schließen. Es gibt Gründe für diesen Schritt, und doch erstaunt das jähe Ende. Die Zahlen der Branche sprechen eine andere Sprache.

Wer in den vergangenen Wochen das Spielwarengeschäft Franck an der Hohen Straße besuchte, der konnte leicht in eine wehmütige Nostalgie verfallen. Früher waren diese Regale mal prall gefüllt mit Spielwaren aller Art: Lego, Märklin, Ravensburger Spiele. Zur Weihnachtszeit war Franck mit seiner 162-jährigen Unternehmenshistorie der Sehnsuchtsort einer Niederrhein-Kindheit. Diesen Zauber hatte das Weseler Geschäft, das im Vedes-Verbund agierte, schon lange verloren. Nur noch das nötigste stand zuletzt in den Regalen, und man hatte auch nicht mehr das Gefühl, dort wirklich neue Spielwarentrends entdecken zu können. Zudem wurde das Sortiment vor einem Jahr noch um Deko-Artikel erweitert. Es war kein Profil mehr erkennbar. Die Kunden kehrten Franck, eines der ältesten Geschäfte der Region, den Rücken. Ende Mai nun schließt das Geschäft.

Ende einer Ära. Warum? Man könnte mit dem boomenden Online-Markt argumentieren. Das allein aber lässt Thomas Roeb, Professor für Handelsmarketing an der Hochschule Bonn Rhein-Sieg, nicht allein gelten. Er kennt die Umsätze im stationären Spielwarenhandel, und die seien eigentlich eher positiv, sagt der Wissenschaftler. Zwar verteilten sich die Umsätze auf weniger Geschäfte, sie stiegen aber deutlich. So habe es 2002 nach Zahlen des Bundesverbandes für Spielwaren einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro im Spielwareneinzelhandel gegeben, 2010 dann schon zwei Milliarden. Die Zahl der Unternehmen wiederum sei gesunken: 2002 gab es demnach 3928 Spielwarenläden, 2016 nur noch 3057. Knapp ein Viertel der Geschäfte schloss. "Der Markt wächst, aber nicht für jeden. Es gibt allem Anschein nach einen Trend zur Größe", sagt Roeb. Gleichzeitig würden kleine Händler, die ihr Sortiment an den aktuellen Bedürfnissen ausrichten, weiter eine Chance haben.

Die Deutschen kaufen also mehr Spielwaren als früher. Das Segment hat sich aber verschoben. Drei Trends entdeckt Roeb: "Natürlich gibt es den boomenden Online-Handel, das ist keine Frage." Das ist aber für ihn nicht der einzige Trend. Das klassische Spielzeug erlebe eine Flaute, sagt Roeb. Er ist selbst Familienvater und macht Beobachtungen: "Es ist eindeutig so, dass mit traditionellen Spielwaren weniger gespielt wird. So wird zum Beispiel Lego-Technik häufig nur noch einmal aufgebaut. Schauen Sie mal, wie sauber die Legosteine sind, die man heute Second hand kaufen kann."

Die Faszination von Modelleisenbahnen sei ebenso verschwunden. Auf solche wandelnden Trends müssten sich die Geschäfte einstellen, wenn sie im Kampf um die Kunden mithalten wollen. "Computerspiele boomen, aber das haben die meisten Spielwarengeschäfte nicht gelernt."

Ein dritter Trend sei die zunehmende Konkurrenz: Zum einen haben sich auch hier Toys'r'Us-Märkte etabliert. Es bleibe abzuwarten, wie sich die USA-Insolvenz auf das hiesige Geschäft auswirkt. Zum anderen gebe es die großen Warenhäuser wie Real und Kaufhof, "die setzen ebenfalls auf den Spielzeugmarkt". Konsequenz aus Sicht von Roeb: Die Spielwarenläden überleben durch Spezialisierung und Serviceangebote. Stark nachgefragt waren etwa im Spielwarenhandel zuletzt die Hörfiguren Tonies: Sie sind mit einem Chip bestückt und ersetzen die klassische Hörspielkassette. Zum Sounderlebnis kommt ein haptisches Gefühl. Nur wer als Geschäft solche Trends erkannte, vor Ort anbot, zum Ausprobieren einlud, konnte mithalten im Konzert des Internethandels.

Ein Einkaufserlebnis schaffen - das ist auch nach Ansicht von Eva-Maria Kusch das beste Rezept in Zeiten des Online-Booms. Sie ist Sprecherin von Vedes, einer Einkaufsgenossenschaft für den Spielwarenhandel, 1904 gegründet. Auch Franck gehörte dazu. "Es geht heutzutage nicht um besondere Produkte, die der Kunde speziell im Spielwarenladen sucht. Der große Vorteil des stationären Handels ist neben dem umfassenden Service das Einkaufserlebnis, denn nur hier können Spielwaren vor dem Kauf angefasst und ausprobiert werden. Der emotionale Faktor spielt hier die entscheidende Rolle."

Kusch verweist auf eine Neuverteilung des Kuchens: "Die Digitalisierung verändert den Markt in einer immensen Geschwindigkeit." Es sei nicht zwingend immer die Größe, die ein Fortbestehen eines Spielwarengeschäftes garantiere, sagt Kusch: "Wie sich ein stationärer Einzelhändler erfolgreich aufstellt und positioniert, entscheidet letztendlich sein direktes Umfeld, ausschlaggebend für Größe und Sortiment ist immer die Wettbewerbssituation und Kundenstruktur vor Ort - es gibt kein Einheitsrezept." In Wesel hatte Franck Konkurrenz durch Intertoys an der Brückstraße. Es gab zwischen beiden Geschäften zu wenig Differenzierung, könnte man urteilen. Eva-Maria Kusch verweist darauf, dass die Zugehörigkeit zur Vedes-Gruppe eine Unterstützung für den Handel darstelle. Es gebe eigene Betriebsberater, Marktforschung und Analysen. "Wir erarbeiten mit den Händlern das für ihn beste Konzept." Das beste Rezept in Zeiten des Online-Handels sei für den stationären Handel, die Fühler auch ins Internet zu richten und beide Vertriebskanäle auszuspielen. Auch dort biete Vedes eine Vernetzung. Letztlich konnte auch die Zugehörigkeit zu einer größeren Marktgruppierung für Franck den Trend nicht stoppen. Und es gibt aus Sicht der Stadt bisher keine Signale, dass sich ein anderer Spielwarenhändler statt Franck ansiedelt.

Ihre Meinung? Schreiben Sie: sebastian.peters@rheinische-post.de

(RP)
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