Wesel Trauer braucht einen Erinnerungsort

Wesel · Mit Allerheiligen beginnt heute der Monat der stillen Feiertage. Die Lebenden gedenken der Toten. Bestattungsformen ändern sich. Der Wunsch nach pflegeleichten Gräbern wächst in Wesel weiter. Überflüssig sind Friedhöfe aber nicht.

 Ein Rasengrab auf dem alten Friedhof an der Caspar-Baur-Straße. Eigentlich soll es kein Beiwerk geben. Aber Gesteck und Lampe zeigen, dass hier jemand trauern will.

Ein Rasengrab auf dem alten Friedhof an der Caspar-Baur-Straße. Eigentlich soll es kein Beiwerk geben. Aber Gesteck und Lampe zeigen, dass hier jemand trauern will.

Foto: Malz

Die klassische Erdbestattung mit Sarg hat längst starke Konkurrenz. Wählte vor zehn Jahren jeder Vierte eine Urne, so ist es heute jeder Zweite. Das kann Thorsten Lacks von der Friedhofsleitung des Betriebs ASG Wesel seinen Zahlen entnehmen. Auch geht der Trend zu pflegeleichten Gräbern weiter. Immer mehr Verstorbene haben keine Angehörigen oder diese in weiter Ferne. Lacks stellt fest, dass die wenigsten Gräber nach Ablauf der obligatorischen 25 Jahre verlängert werden. Nur 20 Prozent der Grabstellen werden für fünf oder noch mehr Jahre neu angekauft. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass Hinterbliebene keinen Erinnerungsort mehr haben wollen.

Beispiel Rasengrab: Eine Steinplatte mit dem Namen des Verstorbenen ist alles. Die Fläche ist problemlos zu pflegen. Auch wenn es der Wunsch des Verstorbenen war und er damit niemandem mehr zur Last fallen wollte: Der Drang zur Dekoration bleibt. Trauer braucht einen Erinnerungsort, bestätigen Superintendent Thomas Brödenfeld und Stefan Sühling, Leitender Pfarrer der Nikolaus-Gemeinde.

Gestecke und Kerzen werden gerade heute zu Allerheiligen auch an den Rasengräbern wieder zu finden sein. Und natürlich wird der ASG sie respektieren, nicht unmittelbar wieder abräumen. Lacks rät Angehörigen aber dazu, sich vorher genau zu überlegen, was sie haben wollen. "Da hilft der Wille des Verstorbenen nicht weiter", sagte der ASG-Mann. Von Kies als Grabauflage rät er übrigens ab. Der sei nur am Anfang schön, mach bald viel mehr Arbeit. Besser seien schnell wachsende Bodendecker.

Sarg, Urne, Stele, Verstreuung, Seebestattung: Thomas Brödenfeld ist keine Form fremd. Er findet es auch gut, dass die Satzung in Sachen Grabgestaltung nicht mehr so starr ist, wie noch vor 20 Jahren. Durchaus gebe es Fälle, in denen eine Verstreuung der Asche auf einer Wiese genau richtig ist: So starb vor einigen Jahren eine hochbetagte Dame. Die 70-jährige Tochter lebte an der Nordspitze Jütlands. Die Mutter wollte in heimische Erde. Also passte die Verstreuung genau. Kritisch sieht Brödenfeld es allein, wenn Angehörige eine Urne mit nach Hause nehmen oder im Schrebergarten beisetzen wollen. "Damit nimmt man auch anderen den Ort des Trauerns." Zudem meint der Superintendent, dass so eine Privatisierung den Hinterbliebenen eher in seiner Trauer gefangen hält.

Abschließen, loslassen. Ähnlich sieht es sein katholischer Kollege Sühling. Er stellt fest, dass immer öfter gewünscht wird, den Sarg bis über den Abschied am Grab über der Erde zu lassen und ihn erst später - ohne Träger - per Seilmaschine abzusenken. Man wolle es nicht mitansehen. Sühling aber hält es gerade für wichtig, auch diesen schweren Moment zu erleben. "Das ist hart, aber der Tod ist so", sagt er.

Sühling erfährt, dass immer weniger Trauergäste mit den Riten am Grab vertraut sind. Unlängst war er der Einzige, der das Vaterunser gesprochen hat. Während es in den ländlichen Gebieten der Nikolaus-Pfarre noch Eucharistiefeiern zur Beerdigung gebe, sei das in der Stadt anders: "Keine 20 Prozent." Traurig findet er Beisetzungen, bei denen er mit einem Mitarbeiter des Altenheims allein ist.

(RP)
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