Tag des offenen Denkmals in Wesel Virtuell an einem extrem friedlichen Ort

Wesel · Zum Tag des offenen Denkmals macht die Stadt Wesel einen spannenden Internet-Besuch des alten jüdischen Friedhofs an der Esplanade möglich, der sonst nur nach Voranmeldung und zu besonderen Anlässen zugänglich ist.

 Der alte jüdische Friedhof an der Esplanade kann seit Dienstagmittag auf wesel.de virtuell besucht werden.

Der alte jüdische Friedhof an der Esplanade kann seit Dienstagmittag auf wesel.de virtuell besucht werden.

Der ältere jüdische Friedhof der Stadt Wesel hat etwas Magisches. Er existiert seit Mitte des 17. Jahrhunderts, konnte bis 1881 für Bestattungen genutzt werden und liegt „an der Esplanade“. So wird die Lage stets beschrieben. Und das ist gut so. Zum einen kann man ihn nur nach Voranmeldung besuchen, weil der Weg zu der Begräbnisstätte über ein privates Grundstück führt. Die Privatsphäre der Eigentümer ist ebenso zu respektieren wie die Totenruhe – gerade auf jüdischen Friedhöfen. In Zeiten wie diesen, da Grabräuber in Wesel zum Beisiel auf dem Alten Friedhof an der Caspar-Baur-Straße auf empörende Weise ihr Unwesen trieben, ist es geradezu ein Segen, dass dieser Platz vor fremden Blicken und Zutritt geschützt bleibt. Ausnahmen sind Führungen, die das Geheimnis wahren. Einen ganz besonderen Besuch kann seit Dienstagmittag nun weltweit jeder wagen. Denn zum Tag des offenen Denkmals, der am Sonntag auf dem Programm steht, hat die Stadt Wesel eine virtuelle Führung auf ihre Internetseite wesel.de gestellt.

Rainer Gellings, Stadtbrandinspektor von der Freiwilligen Feuerwehr Wesel (Löschzug Büderich), ist die technische Umsetzung zu verdanken. Er hat den spannenden Rundgang mit einer speziellen Kamera aufgenommen und zusammengesetzt. Nach gleichem Muster ist seit dem Denkmaltag 2020 schon das Berliner Tor zu erkunden. Corona hatte es nötig gemacht. Der Erfolg ist enorm. Bislang hat es weit mehr als 20.000 Zugriffe gegeben.

Über eine ähnlich gute Resonanz würde Bürgermeisterin Ulrike Westkamp sich auch für den jüdischen Friedhof freuen. Sie stellte das Projekt am Dienstag mit Alexandra Kelemen von der Unteren Denkmalbehörde bei der Stadt vor. Es ist das Soundsovielte seit den Anfängen der von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz 1993 veranstalteten Aktion. Es sei zwar nicht einfach, in der 1945 nahezu komplett eingeebneten Stadt geeignete Objekte zu finden, sagte Westkamp, aber es gelinge doch immer wieder. Nun zum wiederholten Male der Friedhof an der Esplanade, der mit modernsten Mitteln viel Weseler Geschichte erzählt.

Hunderte von Menschen jüdischen Glaubens müssen hier bestattet worden sein. Wie viele genau, kann niemand sagen. Man weiß, dass allein zwischen 1822 und 1835 50 Tote aufgenommen wurden. Aktuell sind etwa 45 Grabsteine und Steinreste zu sehen. Der älteste erhaltene Stein ist David Jacobs gewidmet und stammt von 1665 oder 1668. Das lässt sich nicht genau entziffern. An vielen Stellen sind die Inschriften im Lauf der Jahrhunderte verwittert. Weil jüdische Friedhöfe für die Ewigkeit angelegt werden und nichts verändert werden darf, ist auch die Sicherung der Fragmente eine schwierige Angelegenheit. 2007/2008 gab es die Möglichkeit, mit Geld aus einem Förderprogramm und in Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde Niederrhein Düsseldorf, die das Gräberfeld betreut, etliche Steine nachhaltig zu konservieren. Kelemen erinnert sich noch gut an „fast medizinische Arbeit“ des Steinmetzbetriebs von Manfred Messing aus Kempen. Die Denkmalschützerin nennt den Friedhof an der Esplanade einen „extrem friedlichen Ort“.

Die mehr als 200 Jahre währende Belegung des Friedhofs lässt übrigens auch einen Wandel in der Kultur erkennen. Vor allem im 19. Jahrhundert näherte sich die Gestaltung der Steine denen auf christlichen Friedhöfen an. Die Inschriften geben hin und wieder mehr Auskunft über die verblichene Person als die reinen Daten. So heißt es 1861 über Schewa Schönche „…lieblich in all ihren Werken, Liebling ihrer Eltern, Gefallen fand sie in den Augen aller, die sie sahen, anmutsvoll und züchtig und verschämten Angesichtes…“

Eine Besonderheit ist die liegende Grabplatte aus Blaustein für Bernhard Goldschmidt von 1880. Sie ist im Gegensatz zu vielen hebräischen Zeichen komplett deutsch beschriftet. Auf wesel.de steht dazu, dass er unverheiratet war und keine Nachkommen hatte. Außerdem: „Das Geburtsdatum ist nicht zu entziffern, man weiß jedoch aus anderen Quellen, dass er 1808 bereits volljährig war. Er müsste also über 90 Jahre alt geworden sein.“

Ein Zeugnis praktischer Wiederverwertung gibt der Stein für Mosche Bendit von 1829. Er ist aus Marmor und diente vorher als Tafel für eine Inschrift am Berliner Tor. Wer genau hinsieht und Bilder des Gemäuers vergleicht, erkennt einen Bestandteil jenes Textes, der auf der Feldseite des Tores unterhalb der Bekrönung angebracht ist. Die damals leere Rückseite der Erstauflage verweist nun auf Bendits sieben Jahre vor ihm gestorbene Frau: „Die einander lieb im Leben sind auch im Tode nicht getrennt. Hier ist begraben zu Füßen seiner Gattin…“ Ebenfalls praktisch an der Sache ist, dass es ja schon einen virtuellen Rundgang durch das Berliner Tor gibt und man so im Netz von einem Weseler Denkmal zum anderen wandern kann.

Erlaubt sei ein Schlenker zum jüngeren jüdischen Friedhof am Ostglacis. Dort ist 2020 die Gedenktafel zur Erinnerung an die von 1933 bis 1945 verfolgten, vertriebenen und ermordeten Weseler jüdischen Glaubens gestohlen worden. Ein Ersatz ist von der Stadt vorbereitet, doch wartet sie laut Westkamp noch auf eine Reaktion der zuständigen Jüdischen Gemeinde Duisburg.

(fws)
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