Wesel Suche nach eigenen Wurzeln

Wesel · Ruth Muscovitch wurde 1938, zwei Wochen nach der Pogrom-Nacht, im Marien-Hospital Wesel geboren. Später emigrierte ihre jüdische Familie nach Kanada. Jetzt begab sie sich auf Spurensuche am Niederrhein.

 Aus Kanada nach Wesel: Ruth Muscovitch (geb. Humberg, r.) und ihre Tochter Susan kannten die Stadt bisher nur zerstört von

Aus Kanada nach Wesel: Ruth Muscovitch (geb. Humberg, r.) und ihre Tochter Susan kannten die Stadt bisher nur zerstört von

Foto: Ekkehart Malz

"Nein, hier kann ich mich an gar nichts erinnern", war die ehrliche Antwort von Ruth Muscovitch auf die wohl scherzhaft gemeinte Frage von Gerd Heimig, Pressesprecher des Marien-Hospitals, ob ihr die Klinik bekannt vorkomme. Zum einen war sie bei der Flucht ihrer jüdischen Familie im Jahre 1938 aus Deutschland erst wenige Wochen alt, zum anderen steht das damalige Gebäude nicht mehr. Es wurde 1945 zerstört.

Trotzdem sei es ihr wichtig, an den Ort ihrer Geburt zurückzukehren. "Jeder Mensch hat irgendwann das Bedürfnis zu sehen, wo er geboren ist", sagt die 74-jährige Kanadierin bei ihrem gestrigen Besuch im Weseler Marien-Hospital.

Auf ihre erste Reise an den Niederrhein begab sie sich mit ihrer Tochter Susan in dieser Woche anlässlich der Eröffnung des Humberg-Hauses in Dingden am Freitag. Das ehemalige Wohnhaus ihrer Großeltern erzählt nun die Geschichte der jüdischen Familie Humberg — ihrer Familie. Ruth Muscovitch erblickte am 17. November 1938 unter dem Namen Judis Humberg im Marien-Hospital das Licht der Welt.

Der Vorname Judis wurde ihr von den Nazis aufgezwungen, jeder sollte wissen, dass sie jüdischer Herkunft war. Später gab man ihr den Namen Ruth. Ihr Mädchenname wich dem Nachnamen ihres Ehemannes. Besonders beeindruckt zeigte sich Ruth Muscovitch auf dem Dach des Krankenhauses. Sie hat alte Schwarz-Weiß- Fotografien der zerstörten Stadt, der Vergleich mit heute war für sie faszinierend. "Meine Eltern sprachen nie über diese schwere Zeit", sagt die Kanadierin. Die Suche nach ihren Wurzeln nahm sie selbst in die Hand.

Unterstützung kam vom Dingdener Heimatverein, der die Geschichte der Familie im Humberg-Haus wieder aufleben lässt. Den ersten Kontakt stellte der Brüner Hobbyhistoriker Günter Heiligenpahl im Jahre 1988 her.

Im Rahmen seiner Kirchen- und Jugendarbeit in Brünen begab er sich 50 Jahre nach den schrecklichen Pogromen gegen die Juden auf die Suche nach Betroffenen aus der Region. Über Cousinen von Ruths Mutter aus England bekam er ihre Adresse und schrieb sie an. Es folgte ein reger Briefwechsel. Die Eröffnung der Gedächtnisstätte in Dingden am Donnerstag bietet einen schönen Anlass für einen persönlichen Besuch.

(niel)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort