Im Weseler Amtsgericht Großfamilien streiten vor Gerichtssaal – Richter fordert vier Justizwachtmeister an
Wesel/Goch/Kamp-Lintfort · Eine Verhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung gerät zur Nebensache, weil sich zwei Großfamilien im Amtsgericht verbal in die Haare bekommen. Vier Jusitzmitarbeiter müssen für Ruhe sorgen. Am Ende gibt es Lob für den Richter.
Dass ein Richter gleich mehrere Wachtmeister telefonisch um Unterstützung bittet, vor dem Gerichtssaal für Ruhe und Ordnung zu sorgen, kommt im Weseler Amtsgericht so gut wie nie vor. Aber am späten Dienstagvormittag eilten gleich vier Justizmitarbeiter die Treppen des Amtsgerichts herauf, um im zweiten Obergeschoss dafür zu sorgen, dass sich zwei Familien, die sich offensichtlich nicht grün sind, nicht in die Haare bekommen. Bevor der Vorsitzende Richter aber zum Telefon griff, kam es vor dem Saal 219 zu einer lautstarken Auseinandersetzung, sodass einem Angst und Bange werden konnte. „Wenn hier nicht Ruhe ist, rufe ich die Polizei“, hatte er den Wartenden zu verstehen gegeben. Doch nicht alle hielten sich daran, sodass der Einsatz der vier Wachtmeister nötig wurde.
Als dann wenig später der Prozess gegen zwei Brüder aus Goch – 28 und 36 Jahre alt – wegen gefährlicher Körperverletzung eröffnet wurde, machte der Richter unmissverständlich klar, dass er keine Zwischenrufe oder Drohgebärden von den Zuhörern akzeptieren werde. Und tatsächlich hielten sich am Ende alle an die Anweisung des Gerichtes.
Als Vertreterin der Duisburger Staatsanwaltschaft verlas dann eine Rechtsreferendarin die Anklageschrift. Den beiden Männern aus Goch wurde vorgeworfen, dass sie am Nachmittag des 27. Mai 2022 nach einem Streit an einer Ampel hinter der Weseler Niederrheinbrücke einen jungen Autofahrer aus Kamp-Lintfort erklärt hätten, „die Sache bei unserem Onkel in Büderich zu klären“. Tatsächlich sollen die beiden Autos am Stahlsweg geparkt haben, wo es zu einer wilden Schlägerei gekommen sei. Der junge Mann aus Kamp-Lintfort habe, so die Referendarin, mit einem Schlagstock insgesamt zehn Schläge auf den Kopf und mehrere Fausthiebe ins Gesicht gekommen.
Eigentlich sollte das Opfer, begleitet von Vater und mehreren Familienangehörigen, während der Verhandlung als Zeuge gehört werden. Doch dazu kam es nicht. Denn der Anwalt des 36-Jährigen bat um ein Gespräch mit dem Richter und der Rechtsreferendarin – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nach etwa einer halben Stunde, in der es auf dem Flur vor dem Gerichtssaal ruhig geblieben war, verkündete der Vorsitzende Richter, dass man das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe einstellen werde. Der 28-Jährige solle 500 Euro und der 36-Jährige 1000 Euro an ihr Opfer zahlen. Doch der junge Kamp-Lintforter war – zur Überraschung aller – damit nicht einverstanden. „Ich möchte, dass das Geld Menschen zugutekommt, denen es nicht gut geht.“ Er wolle durch die Spende dafür sorgen, „der Umwelt mehr Liebe hinzuzufügen“. Sein Vater, der nehmen ihm saß, klopfte dem Sohn anerkennend auf die Schulter (siehe Infobox).
„Ich habe eine Bitte an beide Familien, dass sie sich ab jetzt möglichst aus dem Wege gehen. Das ist das Ende der Streitigkeiten, die es nun nicht mehr geben soll“, sagte der Richter zum Ende dieser denkwürdigen Verhandlung. „Danke, Herr Richter“. Und: „Schönen Tag noch“, bedankten sich mehrere Zuschauer und die nicht benötigten Zeugen.
Wie unsere Redaktion erfuhr, soll der Fall vor einiger Zeit bereits vor dem Rheinberger Amtsgericht verhandelt worden sein. Damals aber hätten nicht die beiden Gocher vor Gericht gestanden, sondern ihr Opfer. Der junge Kamp-Lintforter, so heißt es, soll an jenem 27. Mai 2022 am Stahlsweg mit einem Totschläger auf die beiden Brüder losgegangen sein, die sich dann einfach nur gewehrt hätten.
Dem Streit vorausgegangen sei eine Lappalie. Offensichtlich fuhr der Kamp-Lintforter am Tattag in Schlangenlinien über die Weseler Niederrheinbrücke. An der nächsten Ampel soll es dann offensichtlich zu dem Streit mit dem Brüderpaar gekommen sein. Die Gocher waren wohl mit den „Fahrkünsten“ des jungen Mannes nicht einverstanden und sollen das auch verbal deutlich gemacht haben. Das Verfahren vor dem Rheinberger Amtsgericht soll übrigens ebenfalls eingestellt worden sein.