Leichtathletik "Es muss ein Anti-Doping-Gesetz her"
Wesel · Der Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes war Mitglied der nationalen Anti-Doping-Agentur NADA.
Die Sportwelt diskutiert über die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie über die Doping-Praktiken in Westdeutschland von 1950 bis heute. Eine Thematik, mit der sich Theo Rous (78) in offizieller Funktion viele Jahre beschäftigt hat. Der Alpener gehörte der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und der nationalen Anti-Doping-Agentur an. Die RP unterhielt sich mit dem Fachmann.
Herr Rous, sind Sie von den teilweise heftigen Reaktionen überrascht, den der Schlussbericht der Studie ausgelöst hat?
Theo Rous Ich bin der Tat über die Größe des Medienechos überrascht. Es ist mir ein wenig schleierhaft, denn die Problematik ist nicht neu. Denn viele der Punkte des 117-seitigen inhaltlichen Schlussberichts, die aktuell diskutiert werden, sind seit Anfang der 1990er-Jahre bekannt. Brigitte Berendonk, die Frau von Professor Werner Franke, und Gerhard Treutlein haben sich bereits ausführlich mit Doping im Spitzensport beschäftigt.
Warum steht vor allem die Leichtathletik im Mittelpunkt der Diskussion?
Rous Die Zahl der Betroffenen ist besonders groß. Gerade in diesem Sport wird schnell deutlich, was fair oder unfair ist. Es gibt ganz klare Regeln für Fairness. Wer einen Fehler macht, wird disqualifiziert — das gilt für Freizeitsportler wie für Spitzenathleten. Nach der Wende und den damit einhergehenden Untersuchungen im Osten brach das Unheil über die heile Leichtathletik-Welt herein. Der Radsport ist allerdings noch mehr verseucht als die Leichtathletik. Da war man sich der Problematik aber schon wesentlich länger bewusst. Wo Kraft und Ausdauer eine dominierende Rolle spielen, wird gedopt.
Die Namen der gedopten DDR-Sportler sind bekanntgemacht worden. In der aktuellen Studie sind viele Namen geschwärzt. Müssen nicht Ross und Reiter genannt werden?
Rous In der DDR wurde damals gnadenlos zugeschlagen, Namen von Sportlern und Trainern veröffentlicht. Eine Amnestie für westdeutsche Athleten und Trainer darf es nicht geben, wenn eine lückenlose Aufklärung gewünscht ist. Überhaupt müssen die restlichen rund 300 Seiten der 804 Seiten dicken Gesamtstudie an die Öffentlichkeit gelangen.
Was muss getan werden, um dem Dopingproblem Herr zu werden?
Rous Man kann Doping nicht ausrotten. Es wird immer Hasadeure geben, die es versuchen. Das Dopinggeschäft hat mafiöse Strukturen. Und es gibt keinen gesamtgesellschaftlichen Bereich, wo nicht Regeln gebrochen werden. Wichtig ist, dass zunächst die Verbände die Vergangenheit offenlegen. Noch bis Ende der 80er Jahre waren viele Ärzte und Funktionäre der Ansicht, dass es sich bei Anabolika nicht um Dopingsubstanzen handelt. Man muss die Mauern gegen das Doping durch ein effektives Kontrollsystem so hoch wie möglich ziehen.
Benötigt Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz?
Rous Ja, denn es muss die Grundlage für bessere Ermittlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Polizei geschaffen werden und die Möglichkeit geben, härtere Strafen auszusprechen. In Italien, Frankreich und Spanien gibt es schon ein solches Gesetz. Der DLV fordert schon lange die Verabschiedung eines Anti-Doping-Gesetzes. Erst im vergangenen Jahr hat der DLV beim Verbandstag des Deutschen Olympischen Sportbundes einen Antrag eingereicht, der mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist. Jetzt wird plötzlich wieder darüber diskutiert.
Können Sie ein Beispiel aus ihrer Funktionärstätigkeit nennen, wo ein Anti-Doping-Gesetz Ihre und die Arbeit der Ermittler erleichtert hätte?
Rous Als Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission ist der Fall eines 15-jährigen Mädchens aus Magdeburg an mich weitergeleitet worden, die von ihrem Heimtrainer ein verbotenes Mittel bekommen hatte, wie sich später herausstellte. Der Trainer war Thomas Springstein, der daraufhin von uns angezeigt wurde. Aufgrund des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und der Weitergabe von Dopingmitteln an Minderjährige in einem besonders schweren Fall wurde er zu einer 16-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt — allerdings nur auf Bewährung. Gefängnisstrafen schrecken viel mehr ab. Auch müssen die Sportler, die wissentlich dopen, härter bestraft werden können.
Gab es Zeiten, wo die Bundesrepublik die Dopingforschung unterstützt hat?
Rous Der Staat hat bis in die 80er Jahre hinein eine Doping freundliche Atmosphäre geschaffen. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaften sollte damals erforschen, das die Dopingwirkung nichts bringt. Dadurch wurden aber auch Anwenderkenntnisse gewonnen. Für mich war es Dopingforschung mit stattlichen Mitteln unter dem Mantel einer anderen Zielsetzung.
Wird die Dopingdiskussion Deutschland noch länger beschäftigen?
Rous Davon gehe ich aus. Alle Namen aus der Studie müssen veröffentlich werden, da schließe ich mich dem aktuellen DLV-Präsidenten Clemens Prokop an. Und es gibt eine weitere Kommission an der Uni Freiburg, die sich mit der Dopinggeschichte in Deutschland beschäftigt. Auch ich bin als Zeitzeuge gehört worden. Es ist ja bekannt, dass an der Uniklinik in Freiburg viele Spitzensportler mit Dopingmitteln versorgt wurden. Es wird nach der Veröffentlichung sicherlich eine neuerliche Diskussion entflammen.