Wie ein Thron auf zwei Rädern Mann aus Schermbeck baut sich sein eigenes Hochrad

Schermbeck · Christoph Dorr zieht mit seinem ungewöhnlichen Vehikel alle Blicke auf sich. Das hat mit einem herkömmlichen Fahrrad nichts mehr zu tun. Der Schermbecker erzählt, wie er sich vor vielen Jahren für sein neues Hobby begeisterte und wie gefährlich eine Fahrt sein kann.

 Der ehemalige Radrennfahrer Christoph Dorr ist inzwischen ein Fan von Hochrädern geworden.

Der ehemalige Radrennfahrer Christoph Dorr ist inzwischen ein Fan von Hochrädern geworden.

Foto: Helmut Scheffler

Man muss nicht Eddy Mercks, Jan Ullrich oder Tony Martin heißen, um als Fahrrad-Rennfahrer die Blicke der Menschen auf sich ziehen. Manchmal reicht es schon, ein nicht alltägliches Fahrrad langsam über Wirtschaftswege zu steuern, um die Bewunderung von Wanderern auf sich zu ziehen.

Einer der wenigen Radler, die von Wanderern sogar um ein gemeinsames Foto gebeten werden, ist der Schermbecker Christoph Dorr. Wenn der 59-Jährige in der Kilianstraße sein fast mannshohes Hochrad besteigt, dann wird er oft sogar von jungen Menschen bewundert. Mit ausgestreckten Händen das Lenkrad greifen, welches sich in Schulterhöhe befindet, mit dem rechten Fuß das anlaufende Fahrrad durch Scrollbewegungen so beschleunigen, dass man über einen kleinen Trittsteg mit den Füßen auf die Pedale gelangt und mit dem Po auf dem Sattel – das strahlt schon ein gehöriges Stück Akrobatik aus und hat schon bei manchen Hochradfahrern zu Abstürzen mit schmerzenden Verletzungen geführt.

Christoph Dorrs Begeisterung für Rennräder begann im Jahr 1987. Für das Siegertreppchen hat es bei internationalen Rennen zwar nie gereicht, aber im Mittelfeld die Ziellinie zu überqueren, das hat beim Mittdreißiger in den 1980er-Jahren für einen großen Motivationsschub gesorgt. Bis zu 9000 Kilometer hat er jährlich im Sattel gesessen.

Ein Blick in den 1996 erschienenen Katalog der tschechoslowakischen Firma Mesicek High Bicycle weckte seine Begeisterung für Hochräder, aber 6000 D-Mark für ein Rad zu investieren, das ein eher schlichtes Aussehen besaß und mit Techniken aus dem 19. Jahrhundert ausgestattet war, erschien dem damals noch in Meerbusch wohnenden Christoph Dorr doch keine sinnvolle Investition zu sein. Erst ein Jahrzehnt später entdeckte er im Internet, dass ein Bremer Kfz-Meister im Ruhestand historische Fahrräder für 1400 Euro selbst baute und verkaufte. Dorr schlug 2017 zu. „Rechts und links wuchsen Pflanzen, sodass man sanfter fallen konnte“, begründet Christoph Dorr in der Rückschau die Trainingsstunden fürs Aufsteigen und Absteigen vom Hochrad auf dem Parallelweg zur Freudenbergstraße, der über das Gelände des ehemaligen Ludgerus-Friedhofes führte.

Auch wenn man es geschafft hat, im Sattel zu sitzen, ist deutlich mehr Umsicht und Vorsicht gefragt als bei den heutigen Sicherheitsrädern. Besonders gefährlich wird es, wenn ein starkes Bremsmanöver ansteht oder ein Schlagloch das Vorderrad „attackiert“. Da der Schwerpunkt des Radlers nahe der Oberkante des Vorderrades liegt, sind fliegende Abgänge vom Fahrrad keine Seltenheit. Und da die Fallstrecke bei Hochrädern wesentlich länger ist als bei deutlich niedrigeren Fahrrädern, steigt auch das Verletzungsrisiko. Hochradfahrer kennen diesen Nachteil und besteigen deshalb ihr Vehikel nur mit einem Helm.

Der Zwang zum voraussehenden Fahren ist bei Hochrädern noch wichtiger als bei modernen Sicherheitsrädern, denn der Anhalteweg ist bei derselben Reaktionszeit deutlich länger, und das liegt an der Mechanik. Bremsen ist eine Kunst für sich. Es gibt weder einen Rücktritt noch einen Leerlauf. Vielmehr drehen sich die Pedale mit dem Vorderrad, sodass sie nicht zum Absteigen benutzt werden können, sondern entweder zum Absteigen über die Tritttaste am kleineren Hinterrad zwingen oder zum gefährlicheren Abspringen.

 Beim Aufsteigen und beim Absteigen wird einem Hochradfahrer ein gehöriges Stück Akrobatik abverlangt.

Beim Aufsteigen und beim Absteigen wird einem Hochradfahrer ein gehöriges Stück Akrobatik abverlangt.

Foto: Helmut Scheffler

Zu den Vorteilen von Hochrädern gehört ein deutlich geringerer Pflegeaufwand. Bei Hartgummireifen braucht man keinen „Platten“ zu befürchten und das regelmäßige Schmieren entfällt. Das Fahrgefühl unterscheidet sich wesentlich von Niedrigrädern. Wer aufrecht über dem hohen Vorderrad eines Hochrades „thront“, kann häufig über Hecken schauen.

Als sein erstes Hochrad wegen eines Gabelbruchs ausfiel, entschied sich Christoph Dorr für ein Hochrad der Marke Eigenbau. Aus den gedruckten Unterlagen anderer Hochrad-Hersteller suchte der Maschinenbau-Ingenieur die am besten geeigneten Techniken aus, die er mit einem befreundeten Schlosser beim Bau des eigenen Rades verwendete. Ostern 2020 – pünktlich zum Beginn der Corona-Pandemie – war das eigene Fahrzeug fertig.

Seinen Neffen hat Christoph Dorr inzwischen fürs Hochradfahren begeistern können und dadurch erlebt, wie viel Spaß gemeinsames Radeln macht. Das möchte Dorr gern mit weiteren Interessenten erleben und vertiefen. Er hofft, Menschen kennenzulernen, die einen Teil ihrer Freizeit mit Gleichgesinnten verbringen wollen. „Die Zusammenarbeit mit anderen Menschen macht ein Hobby erst richtig interessant“, ist Christoph Dorr überzeugt. Um die Kosten für ein Hochrad zu reduzieren, ist Dorr sogar bereit, Interessenten seine Fertigungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. „Mit etwas handwerklichem Geschick ist dann ein Nachbau möglich“, ist Christoph Dorr überzeugt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort