Pfingstonntag im Kolpinghaus Maritime Männer feiern 20-Jähriges

Wesel · Der Weseler Shanty-Chor wird 20 und feiert am Pfingstsonntag im Kolpinghaus. Beinahe wäre dieser Auftritt der letzte gewesen. Die Geschichte eines Chors, der um sein Überleben kämpft.

 Der Weseler Shanty-Chor bei einem Auftritt mit der Hansegilde in den Niederlanden.

Der Weseler Shanty-Chor bei einem Auftritt mit der Hansegilde in den Niederlanden.

Foto: Angelika Meckenstock

Man solle bitte nicht zu viel erwarten, mit diesen Worten fängt das erste Telefonat mit Dieter König an. Schließlich bestehe der Weseler Shanty-Chor „lediglich“ aus ein paar alten Männern, die gerne singen. Ganz schön bescheiden von dem Vereinsvorsitzenden der maritimen Männer. Schließlich gibt es die Shanty-Gruppe des Männergesangsvereins MC 46 seit 20 Jahren. König selbst kann etliche Jahre Chorerfahrung vorweisen, seit vier Monaten leitet er die Weseler. Sie sind eine Gemeinschaft, zusammengehalten durch lustige Texte, gemeinsame Auftritte und die Sorge um den Sitznachbarn. Eine Gemeinschaft, die auf kurz oder lang aussterben wird, sagt Dieter König. Es sei denn, es finden sich junge Menschen, die mitmachen wollen.

Was Vereine wie den Weseler Shanty-Chor ausmacht, versteht man am besten bei einem Probebesuch. Erstes Gesprächsthema: der unangekündigte Urlaub eines Chormitglieds. „Mensch, ich habe mir doch Sorgen gemacht, dir hinterher telefoniert“, sagt König. Nächstes Mal solle er bitte Bescheid sagen, wenn er weggeht. Der Angesprochene, ein gestandener Mann in fortgeschrittenem Alter, schaut in die Runde wie ein Schuljunge, der von seinem Lieblingslehrer in der Pause mit einer Kippe erwischt worden ist. Gute 20 Minuten lang wird vor dem Beginn der Probe geplaudert. Darüber, wie die Busfahrt zum nächsten Auftritt abläuft (Die Sänger müssen selbst zahlen). Wie gut andere Gesangsvereine in benachbarten Städten sind („Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden“). Und über das Outfit für den nächsten Auftritt (Einer hat seine blaue Seemannsmütze verloren, ein anderer leiht ihm die eigene aus. Aber nur nachdem er sagt, dass sie sein privates Eigentum ist).

Langsam legen sich die Gespräche, die musikalische Begleitung mit Klavier, Akkordeon und Bass schlägt die Notenhefte auf, ebenso die 16 Sänger, die zur heutigen Probe gekommen sind. Der Chorleiter gibt den Takt an, indem er mit den Fingern schnipst. Sie stimmen den „Hafen-Unterricht“ an, ein Lied mit allerlei vermeintlichen Weisheiten. „Kleine Schiffe mit Motor, die kauft man nur per Kasse bar, deshalb nennt man sie Barkasse, das ist doch wohl jedem klar.“ Man nimmt sich selbst auf die Schippe, das ist bei Shanty typisch. Die Stücke sind aus geselligen Liedern der Hafenarbeiter entstanden.

Hätte sich der Weseler Männergesangsverein – Gründung 1946 – nicht profiliert, wäre er lange tot. Davon ist König überzeugt. Shanty sei eben gefragt, exotisch, anders als die Klassiker. Auch heute tritt der MC 46 am Totensonntag am Friedhof auf, bei Messen oder beim Schützenfest. Am häufigsten singt man aber Shanty. Es gibt viele Auftritte, gerade im Sommer, darüber kann der Chor nicht klagen. Doch vor zwei Jahren, sagt König, habe das Sterben angefangen. Der jüngste Sänger im Chor ist 63 Jahre alt, kein Nachwuchs in Sicht. „Wir sind davon ausgegangen, dass wir Pfingsten sterben“. Dann wollte sich der Verein mit einer letzten großen Feier verabschieden, genau 20 Jahren nach der Gründung.

Doch es kam anders. Die große Feier wird es geben, aber sie wird nicht die letzte sein. Die Rettung kommt ausgerechnet daher, dass es Chöre gibt, denen es noch schlechter geht. Der Männergesangsverein in Flüren ist ein solcher Fall. Ende 2018 löste er sich auf. Drei Mitglieder haben beim Shanty-Chor in Wesel einen neuen Heimhafen gefunden. Erfahrene Sänger seien das, gut für den Verein, sagt König. „Sie freuen sich, dass sie jetzt wieder singen können. Und es sieht so aus, als würden andere nachziehen.“ Problem gelöst? Nur vorübergehend.

Mit der Unterstützung aus Flüren ist der Verein erstmal gerettet. Langfristig braucht er junge Menschen. An dieser Aufgabe verzweifelt Dieter König. „Unser Chorleiter sagt – wenn wir weniger werden als zwölf, ist Schicht im Schacht.“ Dann gibt es keine Gespräche über den Sitznachbarn mehr und keine lustigen Sprüche über Barkassen. Doch die Geschichte des Chors zeigt, dass frischer Wind manchmal gerade dann kommt, wenn alles verloren scheint. Sei es durch die Umstellung auf Shanty, durch einen zugezogenen Vereinsvorsitzenden oder neue Mitglieder aus Flüren. „Wir brauchen keine ausgebildeten Sänger, auch ohne Notenkenntnisse kommt man schnell rein“, sagt König. „Es geht vor allem um die Freude am Singen.“

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