Ringenberg Eine Städterin erlebt die Provinz

Ringenberg · Die Kölnerin Carla Kaspari wohnt als Regionsschreiberin im Projekt stadt.land.text NRW 2020 auf Schloss Ringenberg. Sie ist auf doppeltem Beobachtungsposten: Im Visier hat sie das ländliche Leben und die Corona-Krise.

 Carla Kaspari spürt in sich einen „Mix aus Frühling und Panik“.

Carla Kaspari spürt in sich einen „Mix aus Frühling und Panik“.

Foto: Picasa

Bin ich noch in NRW? Carla Kaspari sitzt auf der Ummauerung am Wassergraben von Schloss Ringenberg und hält ihr Gesicht in die Sonne. Die ersten Obstbäume im Schlosspark beginnen zu knospen. Die Kirchenglocken schlagen zur Mittagsstunde und klingen vom Dorf herüber. Statt pulsierende Kölner Südstadt erlebt sie Ruhe in der Idylle. Ja, Carla Kaspari ist noch in NRW. Sie kann es kaum glauben, aber das flache niederrheinische Land und die Ringenberger Romantik sind real. Die Autorenstipendiatin und Regionsschreiberin im Projekt stadt.land.text NRW 2020 war mit dem E-Bike unterwegs und ist überrascht. „So viel Raum, diese Weite. Diese kleinen Orte wie zum Beispiel Dingden-Berg. Hier kann man den Blick frei schweifen lassen“, sagt sie. Das tue ihr gut.

So viel Kühe und Schafe wie in der Region hat sie lange nicht gesehen, was wiederum unverbrüchlich zum Landschaftsbild des Niederrheins gehört. Mindestens bis Juni lebt sie in einer der frisch sanierten Atelierwohnungen auf Schloss Ringenberg. Schon jetzt fragt sich Carla Kaspari: „Ich bin gespannt darauf, wie ich nach meinem Aufenthalt über das Leben außerhalb der Großstadt nachdenke. Ich genieße es und bin wahnsinnig froh, hier zu sein“, sagt die gebürtige Dortmunderin. Wird die Provinz nicht schnell langweilig? Der Takt des Landlebens sei langsamer, und dann kommt er, der Begriff: Entschleunigung.

Das spürt man in ihrem Blog auf www.stadt-land-text.de. Hier denkt sie in einem multimedialen Tagebuch über das Leben im ländlichen Raum nach: „vor dem aldi unterhalten sich zwei mittelalte frauen über corona, aha denke ich, das dorfgespräch, und finde es im selben moment peinlich, sowas zu denken. generell finde ich es peinlich, über etwas zu urteilen, das ich nicht kenne, für mich ist das hier gerade einfach paradise, ich lächle jeder und jedem, der/die mir entgegen kommt überfreundlich zu, wahrscheinlich denken sie, dass etwas nicht stimmt mit mir, es ist schließlich grau und montag.“ Und zu Corona: „für wenig soziale kontakte wie möglich ist dieses schloss wie gemacht, sehr schön sogar, vielleicht geht es nicht besser.“

Obwohl oder gerade weil sie in der Stadt aufgewachsen ist, hinterfragt sie die Folgen der Urbanität immer wieder. Das tut sie nun vom ländlichen Beobachtungsposten aus, der unversehens zu einem doppelten geworden ist. So viel Idylle kann gar nicht sein, dass der brutale Einbruch der Corona-Krise die Autorin und Texterin nicht beschäftigt. Beschäftigen muss. „Es ist ein Mix aus Frühling und Panik in mir“, sagt Carla Kaspari und blickt auf die erwachende Natur am Schloss. Sie erlebe und verarbeite das Regionale auch im Kontext der Pandemie und ihrer Folgen. „Bildlich gesagt: das ist so etwas wie eine doppelte Quarantäne, einmal als unvoreingenommene Beobachterin einquartiert im Schloss, zum anderen als Betrachterin einer unglaublichen Entwicklung von einem Außenposten aus.“

Die Corona-Krise hat Auswirkungen auf zehn Autorinnen und Autoren des Projekts in den zehn NRW-Kulturregionen. Der Austausch liegt danieder, in den Mittelpunkt der landesweiten Aufmerksamkeit kommen sollte ursprünglich der Residenzstandort Schloss Ringenberg am 18. April bei der ersten Zusammenkunft der Stipendiaten, Juroren, NRW-Literaturbüros und Vertretern aus Kultur und Politik. Eventuelle Lesungen haben keinen Raum. Besuche bei der Städterin auf dem Land sind auch nicht angesagt. Bleibt Kaspari, ihren Blog als leitende Projektidee zu bestücken. „Ich versuche, eine Regelmäßigkeit beizubehalten. Nicht an jedem Tag ist man aber gleich kreativ“, sagt sie. Sie hat auch so viel zu tun. Vom Schloss aus will sie binnen vier Monaten die Mentalität der Menschen und Atmosphäre des Landstrichs zwischen Köln und Kleve auf die Spur zu kommen. In aller Ruhe.

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