Aktion Bundestagswahl Schlagabtausch mit Überraschungen

Wesel · Sechs Politiker, sechs Leserfragen: Die Bundestagskandidaten für den Wahlkreis 113 Wesel I haben in der RP-Redaktion Wesel ihre Positionen zu aktuellen politischen Themen erläutert.

Es war wie an einem Wahlkampfstand in der Fußgängerzone. Nur, dass alle Kandidaten gemeinsam diskutierten: Die Bundestagskandidaten der sechs aussichtsreichsten Parteien sahen sich am Dienstagabend mit sechs Fragen von RP-Lesern konfrontiert. Jeder Politiker musste spontan Farbe bekennen. Das Format fand große Resonanz. Vor gut 50 Gästen in der Weseler Lokalredaktion - moderiert von RP-Redaktionsleiter Sebastian Peters - entwickelte sich ein kurzweiliger Schlagabtausch mit Überraschungen. Die Themen kreisten um Innen- wie Außenpolitik.

Abschiebungen RP-Leserin Beate Florenz-Reul, bekannt als Kunstlehrerin am Andreas-Vesalius-Gymnasium, hatte ihren afghanischen Pflegesohn Noman Jalali mitgebracht und fragte nach der Position zur Abschiebung und Bekämpfung der Fluchtursachen. Letztere sah Jürgen Preuß (SPD) am ehesten mit Investitionen in Bildung im Herkunftsland erfolgreich angesiedelt. Sabine Weiss (CDU) wandte sich gegen Abschiebungen in unsichere Gebiete und brachte ihr Steckenpferd Entwicklungshilfe ins Spiel. Renatus Rieger (AfD) riet zur Nichteinmischung in fernen Ländern und zum Schutz der eigenen Grenzen. Gerd Baßfeld (Linke) empfahl (wie später noch öfter) den Appell des Papstes, sich um Schutzsuchende zu kümmern, zur Lektüre. Bernd Reuther (FDP) teilte Flüchtlinge in verschiedene Kategorien ein; es gebe Schutzbedürftige, aber auch solche, die Deutschland nicht aufnehmen kann. Stefan Meiners (Grüne) bekannte, nicht sagen zu können, ob die Gebiete, in die abgeschoben werde, sicher oder unsicher seien.

 Renatus Rieger (AfD, von links), Sabine Weiss (CDU), Jürgen Preuß (SPD), Bernd Reuther (FDP), Stefan Meiners (Grüne) und Gerd Baßfed (Linke) mit RP-Redaktionsleiter Sebastian Peters

Renatus Rieger (AfD, von links), Sabine Weiss (CDU), Jürgen Preuß (SPD), Bernd Reuther (FDP), Stefan Meiners (Grüne) und Gerd Baßfed (Linke) mit RP-Redaktionsleiter Sebastian Peters

Foto: Klaus Nikolei

Flüchtlinge Erneut aufs Tapet kam die Thematik bei der Frage von Leser Jürgen Göbeler nach einer ganzheitlichen Betrachtung des Flüchtlingsaufkommens in Deutschland. Hier fiel eine Bemerkung aus dem Publikum auf: Ludger Hovest, SPD-Fraktionsvorsitzender im Weseler Rat, warf ein, dass die Gruppe zu 95 Prozent aus Wirtschaftsflüchtlingen bestehe. Ortsfremde Gäste, darunter auch Kandidaten, quittierten es mit Stirnrunzeln. Hovests Genosse Preuß versuchte den Satz gequält damit zu überspielen, dass ihm die Zahl zum ersten Mal begegne.

Hebammenprämie Sabine Weiss (CDU) kam gleichfalls an einigen Stellen ins Schlingern. Zum Beispiel bei der Frage von Parteifreundin und RP-Leserin Ingrid Meyer aus Hünxe, die hohe Haftplichtversicherungsbeiträge für freiberufliche Hebammen anprangerte und den Beruf bedroht sah. Das spezielle Thema war Weiss aus dem Bundestags-Alltag aber immerhin nicht fremd. Ihre Mitbewerber wurden erstmals damit konfrontiert. Renatus Rieger sagte in der daraus resultierenden Diskussion um Hilfen, grundsätzlich für weniger Staat zu sein. Stefan Meiners erklärte, dass gewinnorientierte Versicherungen nicht zum marktregulierenden Faktor werden dürften. Jürgen Preuß sprach von einer "fatalen Situation", Bernd Reuther von einem "schwierigen" Thema und Gerd Baßfeld nannte es "schlimm", wenn Versicherungen bestimmen würden. Ingrid Meyer zeigte sich zufrieden, weil sie ihr Anliegen in den Politikerköpfen verankern konnte.

 Beate Florenz-Reul und ihr afghanischer Pflegesohn Noman Jalali

Beate Florenz-Reul und ihr afghanischer Pflegesohn Noman Jalali

Foto: Klaus Nikolei

Pflegekosten Emotional hoch her ging es in der Kandidatenrunde bei der Frage von Leserin Renate Hartmann nach Gerechtigkeit im Pflegefall. Ist es richtig, dass Vermögenswerte wie mühsam abbezahlte Eigenheime zuerst für die Pflegekosten eingesetzt werden müssen, bevor die Pflegeversicherung (PV) eintritt, und sie nicht vererbt werden können, während für andere Menschen, die statt Vorsorge auf Verbrauch gesetzt haben, die Sozialkassen einspringen? Hier drang Sabine Weiss mit dem Hinweis, die PV zahle mittlerweile deutlich mehr aus als früher, nicht zu den Eheleuten Hartmann durch. Stefan Meiners gab diesen recht und regte Änderungen bei der Erbschaftssteuer an. Jürgen Preuß warf ein Nachdenken über Beihilfen ein. Gerd Baßfeld erkannte eine Bestrafung, erst zu sparen und dann abgeben zu müssen. Bernd Reuther bemühte den Begriff der Solidargemeinschaft und meinte, es gäbe gar nicht so viele sorglose Leute, die ihr Geld nur verprasst hätten.

Arbeitsplätze Um gerechte Chancen für Geringqualifizierte, Jobs in einer globalisierten und digitalisierten Welt zu finden, ging es Leser Michael Hänsel. Hier sah Preuß die Gelegenheit, sein Niederrhein-Wahlkampfmotto unterzubringen und Perspektiven im Logistikmarkt zu verorten und diesen zu fördern. Reuther machte sich für IT-Ausstattung und qualifizierte Kräfte an den Schulen stark. Meiners sah weltweite Verantwortung, "den Benefit unter den Völkern zu verteilen", und Weiss den Segen in spezifischer Qualifikation. Rieger will verbesserte Ausbildung und Baßfeld mehr Lohn für weniger Arbeitsstunden.

Programmziele Schnell um die Ecke denken mussten die Kandidaten bei der Bitte von RP-Leser Dr. Kai König, im Programm eines Mitbewerbers ein Ziel zu streichen und aus dem eigenen eins zur sofortigen Umsetzung auszuwählen. Sabine Weiss (CDU): Qualifizierungskonto für alle Arbeitnehmer bis 20.000 Euro streichen und Einkommensteuerzahler um 15 Milliarden Euro entlasten. Jürgen Preuß (SPD): Maut streichen, Beihilfen zu den Sozialabgaben geben. Bernd Reuther (FDP): Maut streichen und Stromsteuer abschaffen. Stefan Meiners (Grüne): "Keine blinde Digitalisierung", Bürgerversicherung einführen. Gerd Baßfeld (Linke): Auslandseinsätze streichen und mindestens 53 Prozent vom letzten Gehalt als Rente sowie besser Kommunalfinanzen geben. Renatus Rieger (AfD): GEZ streichen.

(fws)
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