Schätze des Niederrheinmuseums Prinz und Page (Teil II)

Niederrhein · In einer Serie stellen wir besondere Stücke vor, die in Wesel ausgestellt sind.

 Zur Zeit der Affäre Gouverneur in Wesel: Generalmajor Konrad Wilhelm Heinrich von der Mosel, Gemälde um 1723, Privatbesitz

Zur Zeit der Affäre Gouverneur in Wesel: Generalmajor Konrad Wilhelm Heinrich von der Mosel, Gemälde um 1723, Privatbesitz

Foto: LVR

Am 12. August 1730 unterzog der König, kaum in Wesel eingetroffen, seinen geflohenen Sohn, aus dem einmal der berühmte Alte Fritz werden sollte, in Anwesenheit des Gouverneurs im Herzogsschloss einem strengen Verhör. Freilich spielte sich dies durchaus anders ab, als in der Legende, die Friedrichs Schwester Wilhelmine von Bayreuth in ihren seit 1810 publizierten Memoiren aufgriff oder gar in die Welt setzte. Ihrer völlig ungesicherten Version, dass von der Mosel den Prinzen vor dem Degen des wütenden Vaters mit seinem Leibe gedeckt und damit dem Thronfolger das Leben gerettet habe, folgte man in der biografischen Literatur jedoch weithin. Nun besitzen wir aber mit dem Reisejournal des österreichischen Gesandten Graf Seckendorff die Überlieferung eines glaubwürdigen Zeitzeugen, der König und Kronprinz nach Wesel begleitete. Die Berichte seines Reisejournals, die er an den Prinzen Eugen sandte, hatten ja gerade den Zweck, möglichst zuverlässige Informationen nach Wien gelangen zu lassen. Seckendorff hielt hier über das Weseler Verhör folgendes fest:

Friedrichs Falschaussage, er habe nach Frankreich (Straßburg) gehen und sich dort mit Katte und Keith treffen und abwarten wollen, bis er die Gnade des Königs wieder erlangt habe, versetzte den König in Wut. So „hat sich der könig darüber um so mehr erevffert, weil man schon wuste, daß der entflüchtete lieutenant Keuth den weg nach Holland genommen. Dahero der könig den cronprintz mit dem stock ins gesicht gestoßen, selbigen den degen von der seiten gerißen und sogleich den generalmajor Mosel rufen laßen, der in oben in ein zimmer des eigensten haußes bringen und mit doppelter schildwach verwahren laßen müßen. Als der cronprintz da ankommen, hat er zum general Mosel gesagt, er wünschte nur ein meßer zu haben, um den schandfleck aus dem brandenburgischen gesicht zu schneiden, welcher durch diesen stoß ihm zugefüget worden.“

 Die Weseler Verhörszene nach der Version Wilhelmines, Holzgruppe 19. Jhdt., Privatbesitz

Die Weseler Verhörszene nach der Version Wilhelmines, Holzgruppe 19. Jhdt., Privatbesitz

Foto: LVR

So war der Generalmajor von der Mosel bei dem tätlichen Angriff des Königs zwar nicht zugegen, berichtete aber als Augenzeuge von der Reaktion Friedrichs auf die ihm zugefügten körperlichen Schäden. Der Schlag ins Gesicht war bei einem Prinzen königlichen Geblüts ein ehrverletzendes Skandalon: sowohl für das Opfer als auch für den Täter. Ein versuchter Degenangriff widersprach dagegen nicht der Adelsehre. Die von Friedrichs Schwester Wilhelmine kolportierte Version entlastete König und Kronprinz, als sie den Übergriff erst gar nicht geschehen ließ und die Verhinderung der Untat dem beherzten Generalmajor zuschrieb.

In dem väterlichen Verhör hütete sich Friedrich zwar wohlweislich – bei der Abneigung Friedrich Wilhelms gegen seine englische Verwandtschaft – das Fluchtziel England einzugestehen, gab aber bei dem starken Druck, der auf ihn ausgeübt wurde, die volle Mitwisserschaft und Desertionsbereitschaft Hans Hermann von Kattes preis. Dieser habe versprochen, „mit von der Parthie zu sein.“ Noch am 12. August erließ der König von Wesel aus, den Haftbefehl gegen Katte, der später zu dessen Enthauptung führen wird. Das Kriegsgericht auf Schloss Köpenick, das im Oktober 1730 über Fritz und Katte Recht sprechen sollte, erklärte sich im Falle des Kronprinzen für nicht zuständig und erkannte beim Leutnant „nur“ auf lebenslänglichen Festungsarrest. Trotz königlichen Drucks blieb das Gericht tapfer bei seinem Urteil, so dass Friedrich Wilhelm es schließlich selbst auf Tod durch Enthauptung verschärfte. Der König nahm damit ein ihm zustehendes Recht wahr und entschied auf dem Boden der freilich harten preußischen Kriegsartikel nach Recht und Gesetz. Katte ließ er vor der Hinrichtung in Küstrin am 6. November 1730 noch mitteilen, dass es ihm leid täte, aber es sei besser, „daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme.“ Für Friedrich dürfte seine Katte belastende Aussage in Wesel zu den traumatischen Erfahrungen seines Lebens gehört haben.

Warum nun diese unerbittliche Härte des Königs im Fall Katte? In den Augen des Königs lag hier eine Staatsaffäre vor, die an die Grundfesten seines Lebenswerkes rührte. Wenn ein Angehöriger seines Gardeoffizierskorps, der wegen seiner engen persönlichen Bindung an den Monarchen eine besondere Treueverpflichtung besaß, ein „Desertionskomplott“ mit dem Kronprinzen schmiedete, dann lag hier das Delikt der beabsichtigten Fahnenflucht vor und damit ein „Majestätsverbrechen“. Wenn dieser Offizier nun noch ein Vertreter einer nicht überwundenen, vom König bekämpften älteren Adelskultur war, so erschien für Friedrich Wilhelm I. ein hartes Urteil umso mehr als Pflicht. Auch glaubte der König, von einer breiten Verschwörung ausgehen zu müssen. Seckendorff gestand er in Wesel, er fürchte, von seiner engsten Familie vergiftet zu werden.

Während das Verhör in Wesel für Friedrich und noch mehr für Katte tragisch verlief, führte Peter von Keith seine Flucht aus Wesel in die Freiheit. Am 6. August hatte sich der Leutnant ohne Erlaubnis von seiner Truppe entfernt und in scharfem Ritt auf die holländische Grenze zugehalten. Sein Ziel war Den Haag, um hier, wie ausgemacht, den Kronprinzen zu treffen. Der König, dem die Nachricht von der Desertion Keiths am 12. August in Geldern zugegangen war, setzte tags darauf von Wesel aus ein Kommando unter Oberst Peter Ludwig du Moulin in Marsch, um des Leutnants wieder habhaft zu werden. Mit den Verfolgern auf den Fersen, eilte Keith über Kleve, Utrecht, Amsterdam nach Den Haag und konnte hier Unterschlupf bei dem englischen Gesandten Philip Stanhope Earl of Chesterfield (Lord Chesterfield) finden, der sich auch als Schriftsteller einen Namen machte. Mit Chesterfields Hilfe sollte es ihm dann gelingen, seine Reise nach England fortzusetzen. Chesterfield bewahrte ihn vor seinen Häschern, gab ihm Empfehlungsbriefe auf den Weg und begleitete ihn zum Hafen nach Scheveningen. Hier bezahlte er wohl auch die Überfahrt auf einem Fischerboot, das Keith schließlich sicher an die englische Küste brachte.

Zwar setzte Friedrich Wilhelm I. alles daran, die Auslieferung Keiths aus den Niederlanden zu erreichen. Vergeblich! Zwei Tage nach dem Aufbruch der preußischen Gäste aus Wesel, am 22. August, sah sich Oberst du Moulin gezwungen, seinem König mitzuteilen, dass der Leutnant von Keith entkommen sei. In Wesel musste man sich so mit der symbolischen Hinrichtung des Leutnants begnügen: der Hängung „in effigie“. Im März 1731 wurde so ein eigens für diesen Zweck erstelltes Porträt Peter von Keiths vom Profoß am Galgen befestigt, nicht ohne zuvor noch geohrfeigt worden zu sein, und der Degen des Leutnants zerbrochen. Die zurückgelassene Habe Keiths reichte, um hieraus die Kosten dieser denkwürdigen Zeremonie in Höhe von 27 Talern zu finanzieren: darunter sechs Taler für das Konterfei Keiths und zehn Taler für den Scharfrichter. Keiths Nachlass war zuvor in Wesel versteigert worden und hatte 507 Taler für die Staatskasse erbracht.

Peter von Keiths kommende Jahre verliefen weiter in abenteuerlichen Bahnen. Von London zog es ihn nach Irland. Von hier aus schiffte er sich mit der Flotte von Admiral John Norris nach Portugal ein, nahm dort Kriegsdienste im portugiesischen Heer und brachte es zum Major in einem Kavallerie-Regiment. Noch im Jahr seiner Thronbesteigung 1740 rief Friedrich ihn nach Preußen zurück, verlieh ihm den Rang eines Oberstleutnants „der Armee“ (d. h. kein Truppenkommando) und ernannte ihn 1744 zum Mitglied, drei Jahre später dann zum Kurator der Akademie der Wissenschaften. Während Katte seine Fluchthilfe mit dem Tode bezahlte, gelang Keith die einzig erfolgreiche Flucht der ganzen Kronprinzenaffäre und eine Rückkehr in Ehren.

Der Autor Veit Veltzke ist Leiter des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel. Regelmäßig schreibt er über „Schätze des Museums“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort