RP-Serie "Engel im Alltag" (Teil 4) „Ich bin das Herz, du bist die Seele“
Wesel · Die 78-jährige Rosa Fundowoia arbeitet seit 20 Jahren bei der Weseler Tafel am Mühlenweg. Jeden Tag ist sie vor Ort und sorgt sich um die Bedürftigen. Dafür sind Vorsitzender Horst Maiß und sein Team ihr unendlich dankbar.
Kurz vor 14 Uhr geht es los. Dann wirkt Rosa Fundowoia etwas angespannter. Bevor die Bedürftigen eintreten, muss sie noch einmal im Laden nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Da steht zum Beispiel noch ein rotes Rollbrett im Flur, das beim Entladen der Lebensmittel genutzt wurde – das muss weg. Entschieden läuft sie durch die Räume der Weseler Tafel am Mühlenweg, verteilt hier und da noch ein paar Aufgaben, will sicher sein, dass alles funktioniert, wenn das Essen ausgeteilt wird. So macht sie das jeden Tag, montags bis freitags – und so macht sie es schon seit 20 Jahren.
Rosa Fundowoia ist 78 Jahre alt. 1998 kam sie zum ersten Mal zur Weseler Tafel – zunächst, weil sie selbst Bedürftige war. Die Erinnerung daran füllt ihre Augen sofort mit Tränen. Damals ist sie gerade mit ihrem Mann Sascha wieder nach Deutschland gekommen. Bis auf ihre Mutter lebt ihre ganze Familie hier, denn geboren ist Rosa Fundowoia in einem deutschen Dorf in der Ukraine. „Wir sind deutsch“, sagt sie. Und doch sind es die Deutschen, die sie und ihre Mutter 1940 erst von der Ukraine nach Deutschland und wenig später von Deutschland nach Russland verschleppen – da ist Rosa gerade einmal sechs Jahre alt.
Vor 20 Jahren wagt sie dann noch einmal den großen Schritt, gibt dafür sogar den eigenen Garten und die Stelle als Deutschlehrerin auf. „In Russland haben wir nicht gehungert. Aber wir waren ganz alleine, alle meine Verwandten lebten in Deutschland“, erinnert sich Rosa Fundowoia. Gemeinsam mit ihrem Mann und einem ihrer drei Kinder zieht sie schließlich nach Wesel, wo ihre Schwester lebt. Eine Wohnung bekommt die Familie schnell, doch hier Fuß zu fassen ist nicht gerade leicht.
Irgendwann hört sie von der Weseler Tafel. Mit ihrer Tochter geht sie dort vorbei, um ein paar Lebensmittel zu besorgen. Ihre ersten Erfahrungen mit dem Verein sind allerdings nicht gerade schön: „Ein Helfer hat mir einmal ein Hähnchen hingehalten und mich gefragt: ,Na, willst du das?’. Danach hat er es direkt wieder weggelegt und gesagt: ,Das kriegst du aber nicht’“, erinnert sich Rosa Fundowoia, beim Erzählen wischt sie sich mit einem Taschentuch ein paar Tränen aus den Augen.
Trotzdem schafft ihre Tochter es, sie zu überreden, bei der Tafel als Helferin anzufangen. „Meine Tochter sagte mir: ,Mama, du kannst doch so gut deutsch, dort könntest du vielen helfen und dolmetschen’.“ Und zu Hause zu sitzen, das sei so gar nichts für sie, sagt sie. Also habe sie sich gemeldet, und damit fing alles an. Zusammen mit Gründungsmitglied Rosy Götzke holt sie viele Jahre lang die Lebensmittel von den Geschäften ab und kümmert sich um den Tafelladen, wo die Lebensmittel ausgegeben werden. Das war im November 1998, gerade einmal zwei Monate nach Gründung der Tafel.
„Ich bin das Herz, und du bist die Seele.“ Das habe Rosy Götzke immer zu Rosa gesagt. Sie seien ein tolles Team gewesen. Vor einem Jahr sei ihre langjährige Tafelfreundin aber leider verstorben. Seitdem leitet Rosa Fundowoia den Laden. Und diese Aufgabe bestimmt ihren Alltag: Ab 6 Uhr ist sie schon auf den Beinen, ab 7.30 Uhr steht sie im Laden bereit. „Dann mache ich erst einmal Kaffee für alle“, sagt sie und lächelt zufrieden in sich hinein.
Die Koordination der Fahrer und Spender oder das Sortieren und Portionieren der Lebensmittel beschäftigen sie bis zum Mittag. Ab 14 Uhr, wenn die Lebensmittelausgabe beginnt, zieht sie sich zu den Bedürftigen in den Nebenraum zurück – auch hier will die 78-Jährige sich persönlich davon überzeugen, dass alles ruhig und geordnet abläuft. „Ich habe oft Angst, dass Streit zwischen den Bedürftigen entsteht“, begründet sie.
Wann sie Feierabend hat? „So gegen 18 Uhr, manchmal auch später.“ Dann stehe zu Hause zwar oft schon das Essen auf dem Tisch, und die Familie müsse warten. „Aber so ist das eben“, sagt Rosa Fundowoia. Die Tafel sei ihre Familie, ihr zweites Zuhause. „Ein Zuhause habe ich zum Schlafen – und eines zum Arbeiten“, scherzt sie.
Ob sie nicht irgendwann einmal genug hat von dem Verein, der ihr in 20 Jahren Ehrenamt lediglich eine Urkunde und ein paar Blumen als Dank überreicht hat? Nein, die Tafel könne ja ohne sie gar nicht, und sie könne ohne die Tafel nicht. „Ich bin für viele hier die ,Mama’, manche nennen mich auch ,Oma’“, sagt sie mit einem breiten Lächeln und schaut hinüber zu Horst Maiß.
Der Vorsitzende der Weseler Tafel lächelt zurück – er weiß genau, was Rosa Fundowoia meint und welch große Bedeutung hinter diesen Worten für die Bedürftigen steckt. „Unsere Rosa“ nennt er sie gerne, aber für ihn ist sie eigentlich viel mehr. „Sie ist eine sehr gute Freundin. Es passt wie Pott auf Deckel.“
Aufhören will Rosa Fundowoia noch lange nicht. „Erst wenn ich umkippe“, sagt sie. Maiß meint, man müsse Rosa schon an den Füßen hier herausziehen. Aber so gerne sie auch bei der Tafel arbeitet – auf ihren diesjährigen Urlaub und ein paar Tage Auszeit freut sie sich sehr. Während der Weihnachtsfeiertage und über Silvester wird sie ihre Nichte und ihren gerade geborenen Nachwuchs in Russland besuchen. Die große Vorfreude auf ihre Reise ist kaum übersehbar. Denn es ist das erste mal in 20 Jahren, dass Rosa Fundowoia länger als ein Wochenende wegfliegt.
Kennen Sie auch einen Engel im Alltag? Wer ist Ihnen tagtäglich eine besondere Hilfe, wem sind Sie für seinen Beistand dankbar? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte. Unsere Adventsreporterin Maren Könemann wird Sie (und Ihren Engel) gerne besuchen. Kontakt per Mail an adventsreporterin@rheinische-post.de oder unter Telefon 0281 14340.