Lesung Summende Bienen, dröhnende Bomber

Wesel · Norbert Scheuer las in der Buchhandlung Korn. Der hochgelobte Autor und Raabe-Preisträger stellte seinen Roman „Winterbienen“ in Wesel vor.

 Norbert Scheuer erzählt leise, aber detailreich. Er kann den schusseligen Charmeur geben und übers Erzählen erzählen.

Norbert Scheuer erzählt leise, aber detailreich. Er kann den schusseligen Charmeur geben und übers Erzählen erzählen.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Er lebt die stille Existenz eines leisen Erzählers. Aber es gibt Zeiten, in denen er öffentlich gefeiert wird. Norbert Scheuer hat am Sonntag den Wilhelm-Raabe-Preis erhalten. In Braunschweig wurde er ausgezeichnet für sein neues Buch „Winterbienen“. Mit seinem hochgelobten Werk stand er als heißer Kandidat auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Kurz nach der Preisverleihung hat Norbert Scheuer Ausschnitte aus seinem ausgezeichneten Roman in Wesel vorgestellt.

Buchhändlerin Eva Korn hat ein Händchen dafür, vielversprechende Namen zum richtigen Zeitpunkt einzuladen. Auch jetzt war sie glück­lich, den Eifeler, der das lokale Kleine zum Gegenstand höchster Aufmerksamkeit erhebt, vor vollem Haus vorstellen zu können. Es war eine kurze intensive Lesung gespannten Zuhörens, man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Scheuer ist nicht der einzige Schriftsteller, der aus diesem Blickwinkel des Mikrokosmos erzählt. Aber er tut es auf besondere, detailverliebte und sehr genau recherchierte Art. „Winterbienen“ spielt in Scheuers Heimatort Kall in der spröden Eifel.

Die Menschen, die Kargheit, die Landschaft, die verschiedenen Lebensentwürfe – der Erzähler hat eine unaufdringliche, oft soghafte Art, in die Geschichte hineinzuziehen. Natürlich kennt er sich aus, er lebt in der Welt, von der er erzählt. Da gab es tatsächlich den Stoff für „Winterbienen“ frei Haus, nämlich das Tagebuch eines Imkers, der Natur- und Weltgeschichte am Ende des Zweiten Weltkriegs aufgeschrieben hat. Summende Bienen, dröhnende Bomber.

Aus dem Stoff hat Scheuer die Person des Egidius Arimond geschaffen. Der lebt in Kall, ist pensionierter Lehrer und nach Vaters Vorbild passionierter Imker. Er ist Epileptiker, dennoch der Euthanasie der Nazis entkommen, weil er ein Spezialleben am Rande führt und sich die nötigen Medikamente selbst besorgt. Dafür braucht er Geld, was er sich durch die Schleusung von Juden nach Belgien in umgebauten Bienenkörben beschafft. Mit denen kommt er mit Sondererlaubnis durch die Eifelwälder zu den Standorten seiner Bienenvölker, weil die Nazis die autarke Produktion wertvoller Lebensmittel wie Honig schützen. Egidius ist kein edler Retter, der Bienenbegeisterte ist nicht einfach so ein Naturgutmensch. Er sucht seinen Vorteil. Frauengeschichten, die Männer sind ja an der Front, kommen hinzu, und Scheuer schildert das genüsslich. Naturroman, persönliche Weltgeschichte in der Eifel, wo 50.000 US-Soldaten fielen, ohne politisches Statement auf der einen Seite, dazu noch ein Familienroman: Bruder Alfons ist Bomberpilot, und mit ihm dringt das geräuschvolle Zerstören in die sonst ruhige Landschaft. Präzise und spannend erzählt Scheuer, er verschränkt die verschiedenen Ebenen meisterlich.

Ebenso ist er der detailgenaue Schreiber, manchmal bis an die Grenze der Genauigkeit. Man erfährt viel über Bienen, etwa dass die Winterbienen die Temperatur im Korb flügelschlagend auf 27 Grad halten, bevor sie ausgelaugt sterben. Man lernt, dass er die Tagebuch-Form wählt, weil er so das Leben und Erleben seiner Figuren ausführlich und direkt schildern kann. Man hört, wie er sich als Super-Rechercheur mit Fakten wappnet. Der Eifeler erzählt leise davon, gibt zwischendurch den schussligen Charmeur, was ihm Lacher einbringt, sucht seine Brille, kokettiert damit, dass er nur schreiben, aber nicht übers Erzählen erzählen kann, was er dann doch gefällig tut. Was auch sonst? Dafür sind die vorwiegend Leserinnen ja gekommen.

Großer Beifall. Dann wurde auf den Raabe-Preis angestoßen und der von Seniorchefin Brigitte Korn gebackene Kuchen angeschnitten.

(thh)
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