Wesel Napoleon ist im wahren Leben Busfahrer

Wesel · „Sie sind doch Napoleon!“ meinte baff erstaunt am Samstag der elfjährige Jonas Marquardt beim Streifzug durchs Preußen-Museum. Tatsächlich: das freundliche „Bonjour“ hatte ihm gegolten. Vor ihm stand quicklebendig der Kaiser im grünen Uniformrock der Gardejäger mit den beeindruckenden goldenen Epauletten an der Schulter. Auf der Brust prangte das Kreuz der Ehrenlegion, von Napoleon selbst gestiftet und heute noch gebräuchlich, mit dem einst auch Deutsche wie Goethe oder Wieland geehrt wurden. Auf dem Kopf saß der verdrehte Zweispitz, unter dem sich die berühmte Haartolle hervor stahl, die stets seine Stirn zierte. In der Scheide steckte ein „friedlich verrosteter“ Degen. Selbst das Parfum stimmte: ein feiner Zitrusduft von der Insel Korsika.

Jonas war beeindruckt. Der Kaiser ist zwar schon seit 186 Jahren verblichen, doch aus Leipzig war Jürgen Standke (55) angereist, der deutschlandweit seit zehn Jahren den berühmten Franzosenherrscher gibt. Mit seinen 1,81 Meter vielleicht eine Spur zu groß (Napoleon war 1,69 Meter). Standkes überzeugendes Argument: „Die Größenverhältnisse stimmen jedenfalls. Damals waren ja alle Menschen erheblich kleiner als heute.“

Hoch zu Ross war „Napoleon“ um elf Uhr am Sparkassen-Citycenter an der Bismarckstraße empfangen worden. Denn im Jahre 1811 war einem Gerücht zufolge der echte Napoleon zugegen, um sich bei der Stadt Wesel mit 6000 Francs zu bedanken, weil man hier traditionell besonders Napoleon freundlich war. Sogar noch nach den ruhmlosen Zeiten von Waterloo.

Umwerfende Ähnlichkeit

Die RP hatte Gelegenheit „Napoleon“ durchs Museum zu begleiten. Er bewunderte „seinen“ Säbel vom Ägyptenfeldzug 1798 und meinte beim Anblick des kostbaren Rocks des Ersten Konsuls: „Da krieg ich ja eine Gänsehaut.“ Vor dem berühmten Gemälde, das Napoleon bei der Abdankung 1813 frustriert und ausgelaugt im Sessel zeigt (Delaroche 1840), erzählt Standke, wer als erster seine umwerfende Ähnlichkeit mit Napoleon entdeckte. „Das war meine zweijährige Tochter. Wir standen vor einer Kopie dieses Bildes, sie zeigte drauf und sagte ganz stolz: „Papa!“ Standke – im wahren Leben Busfahrer und lizensierter Fremdenführer – liebt sein Hobby. Er weiß: die Leute sind fürs Historische erheblich eher zu begeistern, wenn‘s anschaulich daherkommt. Zwei Grenadiere waren ihm aus Halle und Leipzig gefolgt, auf dem Kopf den hohen „Tschako“ der Infanterie. Im Museums-Café sah man die zwei im besten Einvernehmen beim Schwätzchen mit den „preußischen Feinden“: gut 20 Mann der Prinzengarde der Stadt hatten sich gut zwei Wochen nach den tollen Tagen nochmals in Uniform geworfen und genossen das sichtlich.

(RP)
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