Wesel Nachbarn zogen das letzte Brot aus dem Ofen

Wesel · Silvester endete die 106-jährige Ära der Bäckerei Winkelmann-Weyers. Morgens um 2 Uhr gab's eine besondere Aktion.

 Der über 90 Jahre alte Nachbar Erich Flores (2.v.r.), den viele unter dem Namen Porter kennen, durfte zusammen mit Nachbar Eberhard Fricke (li.), dem früheren Verwaltungschef des Ev. Krankenhauses, die letzten Brote aus dem Steinbackofen ziehen. Rechts schaut Bäcker Winkelmann-Weyers zu.

Der über 90 Jahre alte Nachbar Erich Flores (2.v.r.), den viele unter dem Namen Porter kennen, durfte zusammen mit Nachbar Eberhard Fricke (li.), dem früheren Verwaltungschef des Ev. Krankenhauses, die letzten Brote aus dem Steinbackofen ziehen. Rechts schaut Bäcker Winkelmann-Weyers zu.

Foto: arnulf Stoffel

Heinz Winkelmann-Weyers musste am Silvestermorgen viele Hände schütteln. Stammkunden, Freunde, Verwandte — sie alle waren zur Wittenberger Straße gekommen, um dem Bäckermeister und seinem 15-köpfigen Team alles Gute zu wünschen und sich zum letzten Mal unter anderem mit Stuten, Jubiläums- und Bergsteigerbrot einzudecken. Denn seit dem 1. Januar ist die 1907 gegründete Bäckerei Winkelmann-Weyers Geschichte.

Weil Sohn Stefan (38) wegen einer Mehlstauballergie umschulen muss, hat der Vater das Geschäft an die Dinslakener Bäckerei Schollin vermietet, die heute um fünf Uhr die neue Filiale eröffnet und in den nächsten Wochen — bei laufendem Betrieb — kräftig in den Umbau investiert. Mitte Februar soll, wie berichtet, die Bäckerei inklusive Café (50 Sitzplätze drinnen und draußen) offiziell eröffnet werden.

Zur Feier des Tages hatte sich Heinz-Winkelmann-Weyers, der wie immer um 2 Uhr in der Backstube stand, etwas Besonderes ausgedacht: Der über 90 Jahre alte Nachbar Erich Flores, den viele unter dem Namen Porter kennen, durfte zusammen mit Nachbar Eberhard Fricke, dem früheren Verwaltungschef des Evangelischen Krankenhauses, die letzten Brote aus dem Steinbackofen ziehen.

"Der Erich hat schon als junger Bursche in der Backstube meines Großvaters ausgeholfen, als die Bauern das Korn fürs Schwarzbrot direkt zu uns gebracht haben", erzählt Heinz Winkelmann-Weyers und blättert in der zum 100-jährigen Bestehen erschienenen Firmenchronik von 2007. Die Geschichte beginnt mit der Gründung eines Kolonialwarengeschäftes der Eheleute Dietrich Wilhelm und Johanna Winkelmann im Jahr 1855 am Aaper Weg in Obrighoven. Der 1. Oktober 1907 gilt als Geburtsstunde der Bäckerei. Weil damals die Eheleute Winkelmann ihren Betrieb an den Bäckermeister Heinrich Weyers und dessen Frau Elise übertrugen und so der Geschäftsname "Winkelmann-Weyers" entstand.

1929 startete Sohn Heinrich seine Bäcker-Ausbildung. Als dieser zehn Jahre später als Soldat eingezogen wurde, begann die schwierigste Zeit in der Firmengeschichte. Elise Winkelmann-Weyers und ihre Schwiegertochter Irma zeigten vor allem unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs Herz, weil sie als "Engel von Obrighoven" der hungernden Bevölkerung halfen. Erst 1950 kam Heinrich Winkelmann-Weyers als Spätheimkehrer in die zum Teil zerstörte Bäckerei zurück. Im gleichen Jahr wurde Sohn Heinz geboren.

1961 errichtete die Familie das Wohn- und Geschäftshaus an der Wittenberger Straße — ein großer Selbstbedienungsladen mit Brot- und Gebäckabteilung. 1978 wurde daraus ein Lebensmittelgeschäft mit vergrößerter Backabteilung. Die Konkurrenz der Discounter nahm in den kommenden Jahren so stark zu, dass sich die Familie Winkelmann-Weyers entschloss, den Lebensmittelverkauf einzustellen. Die ganze Konzentration galt seitdem der Bäckerei, ergänzt durch eine Wurst- und Käsetheke.

Heinz Winkelmann-Weyers ("Ich wäre gerne Elektriker geworden") und seine Frau Ingrid wollen ihr neues Leben im Ruhestand genießen. "Wir möchten mit unseren Elektrofahrrädern längere Touren in Deutschland und Holland machen", sagt er. Außerdem hat er endlich mehr Zeit, seinem Hobby, der Reliefschnitzerei, zu frönen. Wenn ihn die Lust packt, wird er in seiner Küche den Ofen vorheizen und aus besten Zutaten ein Brot backen, wie er es von seinem Vater und seinem Großvater gelernt hat.

(RP)
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