Interview Barbara Florange "Man muss sich eine Aufgabe setzen"

Wesel · So bereiten sich Unternehmer darauf vor, ihr Lebenswerk an eine neue Generation abzugeben.

 Barbara Florange ist Chefärztin für Psychiatrie am Vinzenz Hospital.

Barbara Florange ist Chefärztin für Psychiatrie am Vinzenz Hospital.

Foto: m-b

Wesel Dr. Barbara Florange ist Chefärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am St. Vinzenz-Hospital Dinslaken. Sie weiß, warum es vielen Menschen im Allgemeinen und Unternehmern im Speziellen so schwer fällt, loszulassen. Weil Loslassen immer mit Trauer in Verbindung gebracht wird.

Frau Florange, für viele Unternehmer ist es schwierig, sich zurückzuziehen. Woran liegt das?

Florange Egal, ob ein ganzes Unternehmen oder nur ein Projekt - wenn jemand viel Zeit und Persönlichkeit investiert hat, steckt auch immer ein Stück weit die eigene Identität drin. Deswegen kann Loslassen sehr schwer sein. Schließlich gibt man dann ein Stück von sich selbst ab.

Es gibt aber Menschen, denen es schwerer fällt, und andere, die eine Übergabe leicht meistern.

Florange Natürlich, der Prozess des Loslassens ist ein ganz individueller. Manche Menschen können sogar sehr gut loslassen, was nicht heißt, dass sie im Leben weniger erfolgreich waren. Vielleicht verbinden sie im Moment des Abschieds weniger Persönliches mit dem Unternehmen oder haben schon öfter neu angefangen und verbinden damit eine positive Erfahrung. Und dann gibt es solche Menschen, die dankbar sind für frischen Wind und die immer gern andere Meinungen zugelassen haben. Für alle, die zum Loslassen gezwungen werden, durch Insolvenz zum Beispiel, ist die Lage natürlich dramatischer.

Wie kann man einem Klammerer den Abschied denn erleichtern?

Florange Wenn jemand sehr schlecht abgeben kann, kommt es auf den Nachfolger an. Jemand, der alles komplett umstrukturieren will, macht es dem alten Chef nicht leicht. Optimal wäre, wenn der neue Chef gute Dinge übernimmt und sich dabei selbst mit neuen Ideen einbringt; und der alte sich ein neues Ziel gesetzt hat.

Sie meinen, um nicht in das berühmte Loch zu fallen?

Florange Richtig. Man muss sich eine Aufgabe setzen, das gilt nicht nur für Unternehmer, die ihr Lebenswerk an eine neue Generation übergeben. Das betrifft alle Menschen, die in Rente gehen.

Heißt das, alle Bald-Rentner sollten sich jetzt einen Haufen Hobbys zulegen?

Florange Nein. Jemanden zu etwas drängen, nach dem Motto "du musst jetzt", das funktioniert nicht. Menschen, die Angst vor einem solchen Loch haben, rate ich, sich vorzubereiten. Noch während der Arbeitszeit ein bisschen Urlaub zu nehmen, sich vielleicht in einem Sportkurs anmelden, eingeschlafene soziale Kontakte wieder zu pflegen.

Und was mache ich mit jemandem, der das alles nicht will?

Florange Manche sind zufrieden, wenn sie einfach mehr Zeit für sich haben und ein gutes Buch lesen. Mehr Zeit für sich heißt nicht immer Rückzug. Hauptsache, der Betroffene ist mit sich und seiner Umgebung im Gleichgewicht.

Apropos Gleichgewicht: Wie gehe ich mit jemandem um, der partout nicht loslassen will, der immer wieder im Unternehmen auftaucht und stört? Alles aus dem Gleichgewicht bringt...

Florange Es gibt natürlich Unternehmen, bei denen der alte Chef stiller Berater im Hintergrund ist - ganz harmonisch. Das wäre okay. Wenn aber ein Rentner immer wieder kommt und Unruhe stiftet, muss der neue Chef das ansprechen.

Viele haben aber aus Respekt vor dem alten Chef Angst davor.

Florange Irgendwann muss man es thematisieren, sagen, dass es so nicht funktioniert. Und in der Regel verschwimmt das Ganze dann sowieso irgendwann.

NICOLE SCHARFETTER STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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