Lösung für Kommunikationsproblem gesucht Behinderter kann AST nicht bestellen

Wesel · Das neue Anruf-Sammel-Taxi-System ist nicht für jeden nutzbar. Ludger Gerwers leidet an Aphasie und sieht sich seit den Einschränkungen im Fahrplan vom ÖPNV ausgeschlossen.

 Ludger Gerwers ist nicht in der Lage, ein Anruf-Sammel-Taxi (AST) zu bestellen.

Ludger Gerwers ist nicht in der Lage, ein Anruf-Sammel-Taxi (AST) zu bestellen.

Foto: Fritz Schubert

So lange ein Bus verlässlich in den Abendstunden und am Wochenende unterwegs war, konnte Ludger Gerwers an den für ihn wichtigen Veranstaltungen teilnehmen. Seit etliche ÖPNV-Verbindungen in Wesel durch das System Anruf-Sammel-Taxi (AST) ersetzt worden sind, fühlt sich der 53-Jährige von wesentlichen Bestandteilen seines Soziallebens abgeschnitten. Zum Beispiel von Selbsthilfegruppen.

Der aus Bislich stammende und heute auf dem Fusternberg wohnende Gerwers leidet an Aphasie, einer schweren Sprachstörung. Er war 21 Jahren jung, als eine Angiomblutung zu einem Schlaganfall mit Hirnverletzung führte. Gerwers stemmt sich gegen sein Schicksal. Regelmäßig nimmt er an landesweiten Treffen des NRW-Verbandes der Aphasiker teil. Gleiches gilt für die Gesichtsfeldausfall-Selbsthilfegruppe NRW und die Schlaganfallgruppe. Das hat er früher bis Berlin und Würzburg mit Bahn und Bus alles bewerkstelligt bekommen. Aber ein AST bestellen kann er wegen seines Sprachverlustes telefonisch nicht.

Was man in Zeiten der Digitalisierung kaum glauben mag: Es liegt an der Technik. Während Flüge und Hotels rund um die Welt längst online gebucht werden können, ist dies für eine Fahrt vom Weseler Bahnhof nach Bislich nicht möglich. Gerwers bewertet den neuen ÖPNV-Fahrplan generell als Diskriminierung für ältere und behinderte Menschen sowie sozial Schwache aller Art und wandte sich im September vergangenen Jahres an den Kreis Wesel. Es gab persönliche Gespräche und Mail-Verkehr, wobei man sagen muss, dass Ludger Gerwers diesen nur mit der Hilfe seiner Mutter, seiner Schwester oder einer Helferin aus dem Computerkurs hinbekommt. Daher dürfte auch die Erwägung des Kreises hinfällig sein, eine AST-Order per Mail anzustreben.

„Aufgrund der Komplexität der hiesigen AST-Verkehre können diese in der elektronischen Fahrplanauskunft (EFA) des VRR nicht abgebildet werden. Die zentrale Stelle kann das Sammeltaxi derzeit durch eine E-Mail nicht richtig adressieren“, heißt es in einer schriftlichen Antwort des Kreisverwaltung auf eine Anfrage unserer Redaktion.

In einem späteren Gespräch erläutert Kämmerer Karl Borkes: „Wahrscheinlich ist es immer schwierig, alle Handicaps beheben zu wollen. Ich habe im Moment kein Patentrezept.“ Gleichwohl sei dem Kreis sehr daran gelegen, eine barrierefreie Lösung zu finden. Der Kreis und das Verkehrsunternehmen Niag sowie der VRR seien bemüht. Letzterer habe, unabhängig von der AST-Thematik, gerade ein Pilotprojekt in Recklinghausen laufen. Ziel wäre eine App mit standardisierter Eingabemaske. Die Niag, so Borkes, warte auf Ergebnisse aus dem Probelauf. Der Kämmerer ist überzeugt, dass angesichts der zunehmenden Bedeutung von Car-Sharing, Mitfahrzentralen und weiteren Möglichkeiten moderner Mobilität noch wesentlich mehr App-Systeme benötigt werden, die nur mit optimaler Vernetzung auch zum Erfolg führen.

Für Ludger Gerwers könnte dies hilfreich sein, nur dauert es wohl, bis die neue Verkehrswelt auch funktioniert. Er hat schon eine lange Leidensgeschichte mit Klinik-Daueraufenthalten, Schädel-OPs, Reha, Krankengymnastik, Logopädie, Ergotherapie hinter sich. „Man muss dran bleiben“, verdeutlicht Gerwers die Wichtigkeit, für solche Trainings auch mobil zu sein.

Übrigens hat er die Prozeduren doppelt durchlitten, denn der ersten Angiomblutung mit 21, die auch Epilepsie ausgelöst hatte, folgte vor etwa 20 Jahren ein zweiter Fall. Der Mann der einst für den SV Bislich Fußball spielte und auch als Schiedsrichter fungierte, war über die Fachoberschule auf dem Weg in ein Studium in Krefeld, als er aus dem normalen Leben herausgerissen wurde. Heute ist er zu 100 Prozent schwerbehindert und froh, dass per Pflegestufe 1 nun seine Putzhilfe finanziert ist.

Ludger Gerwers macht sich für andere Benachteiligte stark und versteht es einfach nicht, dass er nach verbandsbedingten Reisen durch halb Deutschland am Wochenende vom Weseler Bahnhof nicht nach Hause kommt.

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