RP-Interview Rhein führt 1000 Tonnen Müll ins Meer

Kreis Wesel · Der 69-jährige Ingo Lentz wirbt für Rhine Cleanup, bei dem am Samstag, 15. September, alle mitmachen sollen.

 Blick auf den Rhein bei Wesel bei Sonnenuntergang. Er führt immer noch viel Müll. Das soll sich ändern.

Blick auf den Rhein bei Wesel bei Sonnenuntergang. Er führt immer noch viel Müll. Das soll sich ändern.

Foto: Jana Bauch (jaba)

Herr Lentz, die Düsseldorfer kennen Sie von der Initiative ProDüsseldorf. Sie haben unzählige Male den Dreck-weg-Tag organisiert, sind also ein Experte beim Thema Stadtsauberkeit. Jetzt mal ehrlich: Wie oft ärgern Sie sich über Müll?

Lentz Eigentlich jeden Tag. Man fährt an einem Container vorbei und fragt sich, ob es sein muss, dass wieder Kartons und Unrat drumherum stehen. Mit der Zeit bekommt man aber auch einen Blick dafür. Schauen Sie sich die Straßen mit den Flecken an, es gibt Leute, die glauben, der Asphalt sei gemustert. Aber es sind Kaugummis. Das ist ohnehin ein ganz spezielles Thema.

Wann kamen Sie auf die Idee, den Rhein säubern zu lassen?

Lentz Beim Dreck-weg-Tag, bei dem ja immer viele Düsseldorfer geholfen haben. Wir hatten schon mal 14.000 Teilnehmer, dieses Jahr, bedingt durch das Wetter, waren es 8000. Aufgefallen war mir in den letzten zwei, drei Jahren, dass sich immer mehr junge Leute engagieren, die anrufen, die mehr machen wollen. Das kannte ich von früher nicht. Auf der anderen Seite haben wir 600.000 Einwohner, 10.000 machen mit. Das ist nur ein ganz kleiner Teil. Obwohl es in und um Düsseldorf viele kleine Gruppen gibt, die Müll sammeln.

Sie wollten also größer denken?

Lentz Genau. Die Niederländer sind sehr sauber, ich fahre da gerne Fahrrad. Und Thomas de Groote – er ist Flame und inzwischen der Projektleiter der Aktion – hat gute Kontakte in die Niederlande. Er wollte etwas unter dem Motto Rhine Cleanup machen. Da kam mir spontan die Idee, das Rheinufer von der Quelle bis zur Mündung zu säubern.

Sehr ambitioniert, wie sind Sie das angegangen?

Lentz Da hat mir der Dreck-weg-Tag schon geholfen. Man muss die Umweltämter haben, die Entsorgungsbetriebe, Kleingartenanlagen, Sportvereine, Schützen, Jonges und Lions. Alle, die mitmachen und etwas Gutes tun wollen. Wir werden Einladungen verschicken an Schulen, Wassersport-Vereine – Rudern, Kajak, Surfen, Tauchen – Walking-Gruppen, Unis, Studentengruppen und Pfadfinder. Das ist eine sehr kleinteilige Arbeit und kostet. Zum Glück haben wir hier für unsere Düsseldorfer Beteiligung einen guten Sponsor, die PSD-Bank.

Haben Sie denn mal überschlagen, in wie vielen Städten sie wie viele Vereine und Organisationen ansprechen müssten, um den Rhein von den Alpen bis in die Nordsee aufzuräumen?

Lentz Ich habe die Städte aufgeschrieben, die am Rhein liegen. Da bin ich auf knapp 100 gekommen. Die ganz kleinen Dörfer habe ich mal rausgelassen.

Da würden Sie sich ja die Finger wund telefonieren und schreiben, wenn Sie jeden Verein und Club kontaktieren.

Lentz In drei Ländern zehn Gruppen à zehn Leute zu haben, wäre eine schöne Basis. Der Schwerpunkt soll auf den Großstädten liegen. Wir sollten nicht anfangen und mit Zauberzahlen arbeiten. Entweder kommt es von selber, das kann ganz schnell gehen. Es kann sogar sein, dass wir im September über die 100 lachen. Wir wollen aber realistisch bleiben und uns nicht zu viel vornehmen.

Sie sind rund um Düsseldorf gut vernetzt, haben einen Belgier im Boot, der Kontakte in die Niederlande hat. Aber wie wollen Sie die Leute am Oberrhein erreichen?

 Ingo Lentz ruft zum Sammeln von Müll auf.

Ingo Lentz ruft zum Sammeln von Müll auf.

Foto: Anne Orthen (ort)

Lentz Da ist Joachim Umbach, der früher Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung war, der die Idee gleich toll fand und der viele offene Türen einrannte mit dem Projekt. Und so habe ich es bisher auch erlebt.

Gibt es Beispiele?

Lentz In Duisburg habe ich mit einem Verein telefoniert, ProDuisburg, der ähnlich gestrickt ist wie wir, also neutral, ohne politische Richtung. Und die haben gleich Kontakt aufgenommen mit dem Verein Sauberes Duisburg.

Am 15. September soll die Aufräum-Aktion stattfinden. Wie genau sieht der Tag aus?

Lentz Die Planung wird noch viel Zeit beanspruchen. Drei Gruppen haben schon zugesagt. Jetzt müssen wir sehen, dass wir weitere Vereine und Entsorgungsbetriebe für den Samstag haben. Wir könnten uns vorstellen, dass die Sammelaktion zwischen 10 und 13 Uhr ist. Fünf Stunden sammelt erfahrungsgemäß keiner. Aber was in zwei, drei Stunden alles zusammenkommt, das ist erstaunlich.

Was war denn das Skurrilste, das Sie bisher gefunden haben?

Lentz Als wir den Rollstuhl aus dem alten Hafen gezogen haben, da habe ich mir schon Gedanken gemacht, habe Bilder im Kopf gehabt, welche Geschichte dahintersteckt. Eine Frau schrie: „Wo ist der Mensch dazu?“ Das war eine makabre Situation.

Die Geschichte haben Sie aber nie erfahren.

Lentz Es hat sich niemand gemeldet. Die Awista hat den Rollstuhl mitgenommen. Vermutlich ist er irgendwo aufgearbeitet und wieder eingesetzt worden.

Gibt es denn auch schöne Erinnerungen?

Lentz Da gab es diesen kleinen Jungen aus einem Waisenheim, der unbedingt mitmachen wollte. Der ganz engagiert mit der Mülltüte loszog und fleißig sammelte. Später bekam er den Goldenen Besen dafür. Überhaupt versuchen wir, über Motivation Leute zu gewinnen, zum Beispiel mit dem Goldenen Besen. Je drei Schulen und Kitas bekommen 200 Euro, wenn sie am Dreck-weg-Tag teilnehmen. Wir wollen nicht mit der Keule kommen, sondern das Eigenengagement fördern.

Manchmal reicht Motivation aber nicht mehr aus.

Lentz Es ist vor allem eine Frage der Erziehung. Und die Stadt spricht Grill-Gruppen gezielt an. Auf Dauer wird man aber nicht umhin kommen, auch mal härter durchzugreifen.

Wie könnte das aussehen?

Lentz Die Stadt hat einen Strafenkatalog. Und der müsste auch mal eingesetzt werden.

Warum ist das bisher nicht passiert?

Lentz Das ist natürlich sehr aufwendig und sehr teuer. Ein Knöllchen für den Falschparker ist schneller geschrieben und man geht der Konfrontation aus dem Weg. Erst kürzlich sprachen zwei Mitglieder von ProDüsseldorf jemanden an, der Müll liegenließ. Die wurden gleich angeblafft. Es gibt ja auch Container-Paten, die können sich bei der Awista melden, die bekommen eine kleine Aufwandsentschädigung. Und die neue App hilft, dass Müllecken schnell verschwinden.

Eigentlich macht die Stadt also doch viel richtig, um Düsseldorf in Ordnung zu halten und nimmt dafür auch die Bürger in die Pflicht. Warum brauchen wir dann den groß angelegten Rhine Cleanup?

Lentz Im Vergleich zu manchem Land in Asien ist es bei uns ja sehr sauber. Aber wir wollen Aufmerksamkeit erregen, wir hoffen, dass es eben auch da ankommt, wo das Thema Müll noch nicht so im Fokus steht wie bei uns. Wenn wir so weitermachen, wird es bis 2050 mehr Plastik als Fische in unseren Ozeanen geben.

Wie viel Müll kommt über den Rhein in die Meere?

Lentz Eine Million Kilogramm jährlich.

Erschreckend. Aber ein Rhine-Cleanup-Tag wäre ja wieder nur eine punktuelle Aktion.

Lentz Mit Thomas de Groote, der monatlich schon lokale Cleanups macht, können wir es schaffen, voranzukommen. Am liebsten würden wir im nächsten Jahr noch die Ruhr einbinden. Und irgendwann dann weitere Nebenflüsse.

Denken Sie schon an eine weltweite Aktion?

Lentz Der 15. September ist nicht zufällig gewählt. An dem Tag ist der World Cleanup Day. Die Welt werden wir mit Rhine Cleanup wohl nicht erobern, vielleicht aber die sechs Länder gewinnen, durch die der Rhein fließt.

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