Lockerungen im Kreis Wesel Inzidenzen-Limbo, Teil IV

Meinung | Wesel · Restaurant, Theater, Shoppen – es ist die Zeit des „Endlich wieder!“ Aber diese aktuelle Zeit ist bröckeliger, als wir es uns erhoffen.

 Ab zum Auesee! Es ist die Zeit des Endlich wieder.

Ab zum Auesee! Es ist die Zeit des Endlich wieder.

Foto: Fritz Schubert

Der etwas in Verruf geratene Virologe Hendrik Streeck saß Mitte dieser Woche bei Markus Lanz. Letzterer wird neuerdings von vielen als neuer Maßstab des Talkshow-Business gefeiert, was einigermaßen erstaunlich, aber irrelevant ist. Streeck wurde von Lanz gefragt, was er von diversen Lockerungsübungen in diversen Bundesländern hielte. Und Streecks verblüffende wie zutreffende Antwort lautete: „Da kann ich nichts zu sagen, das ist eine politische Entscheidung.“ Das Virus sei jedenfalls noch da.

Nicht wenige halten angesichts der Entwicklungen die Pandemie für beendet, sie tragen nicht selten politische Verantwortung. Auf Fakten basiert diese irrige Annahme jedenfalls nicht. Weder hat die Republik (geschweige denn Europa oder die Welt) eine Herdenimmunität hergestellt noch ist das Virus einfach wieder abgereist in eine menschenferne Galaxie. Die Infektionszahlen sinken, das ist alles, der Rest ist politischer Wille.

Das Land erlebt gerade die Zeit des „Endlich wieder!“, eine schöne, verlockende Zeit, das gebe ich zu. Endlich wieder im Biergarten sitzen. Endlich wieder Pasta beim Lieblingsitaliener. Endlich wieder ins Museum. Endlich wieder shoppen. Endlich wieder fast normal Schule. Aber es ist eine trügerische, bröckelige Zeit.

Wir erleben das schließlich nicht zum ersten Mal, die Pandemie befindet sich bekanntlich schon in ihrem zweiten Jahr. Letzten Sommer war schon wieder einiges möglich, das Virus war nach dem sehr harten Lockdown im März und April zurückgedrängt worden. Aber es kam wieder, im Spätsommer und Herbst. Das wollte niemand wahrhaben, und zwar so dringend, dass die Maßnahmen zur Eindämmung viel zu spät beschlossen wurden.

Inzidenz-Limbo tanzen wir also nicht zum ersten Mal. Wenn die Zahlen sich weiter so entwickeln, dürfte der Kreis Wesel Anfang der kommenden Woche sogar schon in die niedrigste Schutzstufe sinken, dann könnten sich beliebig viele Angehörige aus fünf Haushalten treffen, die Freibäder könnten ohne Test besucht werden, aber auch die Bordelle könnten wieder öffnen, und die Diskotheken und Clubs im Außenbereich Partys veranstalten.

Man kann das alles positiv sehen, sich freuen, die neuen Möglichkeiten genießen, und dafür darf man Verständnis haben. Vieles spricht allerdings dafür, mit Handbremse im Kopf vorzugehen. Die Akteure selbst spüren das, sie sind leidgeplagt. Die Wirte sprudeln nicht vor Euphorie, die Kulturschaffenden sind noch skeptisch, was tatsächlich funktioniert.

Es kommt nun darauf an, dass die Bürgerinnen und Bürger sich etwas klüger verhalten, als die Polizei erlaubt. Nicht alles, was die Rechtslage hergibt, sollten sie ausschöpfen, auch wenn das schwer fällt. Sonst geht das Inzidenz-Limbo bald wieder in die andere Richtung.

Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: henning.rasche@rheinische-post.de

(her)
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