Himmel & Erde Die unanständige Wahl von Thüringen

Wesel · Es gibt, gerade in den ostdeutschen Bundesländern, eine bis in die bürgerlichen Parteien hineinragende Affinität zu den völkischen und faschistischen Parolen der AfD.

 Superintendent Thomas Brödenfeld

Superintendent Thomas Brödenfeld

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

In Wesel gibt es eine ausgesprochen lebendige Erinnerungskultur. Am 27. Januar, dem Holocaustgedenktag zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, gestalten Schülerinnen und Schüler seit vielen Jahren zusammen mit dem Jüdisch-Christlichen Freundeskreis und der Stadt Wesel eine bewegende Gedenkveranstaltung im Willibrordi-Dom.

Anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November 1938 erinnern wir mit kulturellen Beiträgen und dem traditionellen Lichtermarsch zum jüdischen Denkmal an die vom nationalsozialistischen Regime organisierten und gelenkten Gewaltmaßnahmen gegen Juden in Deutschland und Österreich, die schließlich in der Vernichtung von sechs Millionen Juden in Europa endeten.

In der kommenden Woche gedenkt unsere Stadt mit einer Reihe von Veranstaltungen und einem Gottesdienst am 16. Februar der nahezu vollständigen Zerstörung Wesels im Februar 1945 durch alliierte Luftangriffe. Auch hier war die Zerstörung Wesels allein eine Folge der nationalsozialistischen Angriffskriege seit 1939.

Erinnern bewahrt vor Wiederholung der alten Fehler. Das gilt seit dem vergangenen Mittwoch nicht mehr. Im thüringischen Landtag hat sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der 22 AfD-Nazis zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Es war, allen geheuchelten nachgeschobenen Statements zum Trotz, eine wohlkalkulierte, geplante und verabredete Wahl.

Was zu befürchten war, ist nun eingetroffen. Es gibt, gerade in den ostdeutschen Bundesländern, eine bis in die bürgerlichen Parteien hineinragende Affinität zu den völkischen und faschistischen Parolen der AfD. Dies aufzudecken und die Gründe dafür aufzuarbeiten, ist eine gewaltige gesellschaftspolitische Aufgabe. FDP und CDU in Thüringen haben sich prostituiert, um an den Insignien der Macht zu lecken. Vor solchen Parteien und Mandatsträgern kann man nur noch Ekel empfinden.

Die FDP hat in der Geschichte der Bundesrepublik erst einmal einen Ministerpräsidenten gestellt, 1952/53 in Baden-Württemberg. Ihr Mann damals hieß Reinhold Maier, er hatte 1933 für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt und erließ in seiner Amtszeit besonders viele Gnadenakte in Entnazifizierungsverfahren. Nach knapp 70 Jahren ist nun wieder ein FDP-Politiker in Deutschland Ministerpräsident geworden – und indem der sich von Nazis wählen ließ, stellt er sich gleich in diese braune Tradition.

Diese unanständige Wahl muss alle Demokraten aufrütteln. Wer die Spielregeln der Demokratie instrumentalisiert, um sie abzuschaffen, muss wissen, dass er in diesem Land auf ein breites Bündnis des Widerstandes trifft.


Thomas
Brödenfeld

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