Kolumne Himmel & Erde Corona-Gesangspause

Meinung | Wesel · Dass seit einigen Wochen wieder Gesang in den Gottesdiensten erlaubt ist, ist wunderbar. Denn ein gemeinsam gesungenes Lied ist weit mehr als zusammen Noten aneinander reihen. Doch dabei gibt es auch viel zu beachten.

 Stefan Sühling, Kreisdechant und Pfarrer in St. Nikolaus, schreibt regelmäßig für die Rheinische Post.

Stefan Sühling, Kreisdechant und Pfarrer in St. Nikolaus, schreibt regelmäßig für die Rheinische Post.

Foto: Klaus Nikolei

Seit einigen Wochen singen wir wieder im Gottesdienst – einfach wunderbar ist das nach so langer Zeit! Kürzlich, nach einer spirituellen Führung durch die Innenstadt Wesels, sangen wir zusammen mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Martini-Kirche ein Abendlied zum Abschluss. Dieser gemeinsame Gesang ging mir noch nach. Die erste Strophe holperte noch ein wenig. Die zweite ging schon ganz gut und bei der letzten erklang voller, schöner Gesang.

In der Zeit des Alleinsingens im Bad oder im Treppenhaus schleift sich das eigene Tempo und vielleicht auch die ganz persönliche Melodievariante ein – es gibt ja keine Korrektur. Nun ist wieder Hinhören und Aufmerksamkeit für die anderen gefragt. Haben wir das gleiche Tempo? Klingt die Melodie wirklich so richtig, wie ich sie im Kopf habe – oder empfiehlt sich ein zweiter Blick in den Notentext? Wie ist das mit meiner Lautstärke? Habe ich die anderen Sängerinnen und Sänger noch im Ohr – oder bin ich mir selbst – und allen anderen zwangsläufig auch – der erste Vorsänger?

Nach der Corona-Gesangspause muss ich mich neu einstellen auf das gemeinsame Singen. Dabei ahne ich: Die Pause schenkt auch eine neue Aufmerksamkeit für das, was zum Gelingen beiträgt und in der Gewohnheit einfach untergeht. Und da ist das erstmals wieder zusammen gesungene Lied nur ein kleines Beispiel für alles das, was fürs Zusammenleben wichtig ist – und das im Abklingen der Pandemie noch einmal mehr.

Bin ich achtsam genug für die, die mit mir leben? In unserer Stadt, meiner Familie, meine Freundinnen und Freunde, in unserer Gemeinde? Höre ich hinter den lauten Tönen auch die leise gesummten? Bin ich selbst der Lauttöner, der die Leisen übertönt, ihnen gar den Mut nimmt, ihre Stimme zu erheben? Mit welchem Tempo leben, arbeiten und glauben wir? Schnell genug, um noch Zeitgenossen sein zu können und gleichzeitig so gemessenem, dass sich niemand gehetzt fühlt? Und nicht zuletzt, welche Melodie wird gesungen? Die in Moll, die vergangener Zeit hinterher trauert oder die in Dur, die vielleicht noch vorsichtig versucht, der Gegenwart mit ihren Herausforderungen fröhliche, aufmunternde Seiten abzugewinnen?

Ein gemeinsam gesungenes Lied – ist weit mehr als zusammen Noten aneinander reihen.

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