Wesel/Rees Bitte fahren Sie weiter*

Wesel/Rees · *es gibt hier nichts zu sehen. Eine Reise mit dem Schiff am Niederrhein ist das Gegenteil von aufregend, und dennoch wunderschön. Unterwegs auf der Jungfernfahrt der FGS Germania von Wesel nach Rees mit Kapitän Rainer van Laak.

 Rainer van Laak am Steiger Wesel vor seiner Germania.

Rainer van Laak am Steiger Wesel vor seiner Germania.

Foto: Sebastian Peters

Eines sollte man sofort auf den Beipackzettel schreiben, weil es bei dieser Schiffstour am Niederrhein sonst zur Produktenttäuschung kommen könnte. Es gibt hier nichts zu sehen – jedenfalls nichts Aufregendes im Sinne von Event-Disneyland. Die Landschaft rechts und links des Rheins ist flach, sehr flach – und weil hier dauernd Deiche im Wege stehen, sieht man von diesem Boot aus vor allem viel Gras. Ab und an lugt eine Kirchturmspitze raus, wenn es ganz dicke kommt, schwimmt eine Kuh vorbei. Man sollte diese Schiffstour mit der Germania dennoch mindestens einmal in seinem Leben unternommen haben. Weil neue Perspektiven sowieso immer wichtig sind. Und weil man vom Schiff aus den Niederrhein neu versteht.

Wir sind Gäste einer Premierenfahrt: Erstmals fährt die Niederrheinflotte von Kapitän Rainer van Laak an diesem Donnerstag auch die Stadt Wesel an. Bisher gingen seine Touren von Rees und Emmerich aus nur bis Xanten. Von jetzt an kann man in Wesel zusteigen und per Schiff am Nachmittag Xanten, Rees und Emmerich erreichen. An diesem Tag macht das mit uns nur eine Handvoll Leute. Wir sind Pioniere. „Das muss sich noch rumsprechen“, sagt der Kapitän hoffnungsvoll, der immer gute Laune zu haben scheint und den auch eine nur spärlich gefüllte Bordkasse kaum traurig stimmen kann. Das kann aber auch am Teddybärchen in seiner Kabine liegen, das neben dem Bordcomputer steht. „Mit Dir ist jeder Tag etwas Besonderes“, steht auf dem roten Stoffherzchen, das um den Teddy hängt. Kapitänsromantik!

Rainer van Laak fährt vom Steiger Wesel aus zunächst noch ein Stück zur Niederrheinbrücke, lässt sich dann in Höhe des Hafens stromabwärts treiben. Der Hafen bietet eine imposante Kulisse, aber schön ist dieses Wesel vom Rhein aus nicht. „Es wird schöner“, verspricht van Laak. Er kennt sich aus, ist gelernter Binnenschiffer. „Mein Opa hat das schon gemacht, mein Vater auch, mein ältester Sohn ist auch Schiffer.“ In Duisburg hat Rainer van Laak im Alter von 17 Jahren den Beruf gelernt, vor 20 Jahren stieg er auf Personenschifffahrt um. Seitdem fährt er die Gäste von Rees aus den Rhein rauf und runter. Es gibt Linienfahrten, und besondere Touren, wie etwa gestern Abend zum Kirmesfeuerwerk in Düsseldorf. „Am liebsten bin ich aber am Niederrhein unterwegs. Schauen Sie mal nach rechts und links, ist es nicht schön hier“, sagt van Laak. „Wir sind die grüne Lunge Nordrhein-Westfalens.“ Das mit der grünen Lunge sollte man jetzt gerade nicht so wörtlich nehmen, die Dürre hat schließlich alles Gelb werden lassen. Aber im Grunde mag man dem Herrn auf seinem flotten Kahn zustimmen.

Die Germania war früher ein echtes Partyschiff. Es gibt Videos, die zeigen eine Meute am Rande des Wahnsinns. Laute Technomusik, blitzende Lichter, viel Alkohol. Die Germania hat schon einiges mitgemacht in ihrem Schiffsleben. Wenn sie also Gefühle hätte, dann müsste es ihr nun hier am Niederrhein ganz schön langweilig sein. Wobei: Es ist derzeit schon mehr Spektakel als sonst, weil der Rhein wegen des Niedrigwassers nur eine engere Fahrrinne bietet. Die meisten der Schiffe bringen Fracht von den Seehäfen ins Landesinnere, etwa zum Duisburger Hafen. Die Kapitäne grüßen sich über Bordfunk gegenseitig, wenn sie aufeinander zufahren. Auf seinem Monitor sieht van Laak dauernd, wo der Rhein fließt, welche Altrheinarme abweichen, auch die Namen der Schiffe werden angezeigt. 500 Schiffe sind im Schnitt in 24 Stunden am Niederrhein unterwegs, weshalb sie sich dauernd auf engstem Raum begegnen. Da braucht es eine ruhige Hand. Nicht jeder seiner Fahrgäste, so van Laak, verstehe, was da vor sich geht. „Manche sagen, ich solle doch mal nicht so eng an die anderen ranfahren.“ Ein Schiffer wie er lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Überhaupt lernt man an Bord, Gelassenheit walten zu lassen und die Zeit zu vergessen. Arbeitstage können hier lang sein. „Normalerweise arbeiten die Binnenschiffer in 14-Tages-Schichten mit zwei Mannschaften. Alle zwei Wochen wechseln sich die Teams ab“, erklärt van Laak.

Wir erreichen das erste Ziel: Am Steiger Xanten stehen zwei ältere Damen. Van Laak manövriert seinen 600-Plätze-Riesen geschickt an Land. Seine zwei Helfer unten geben ihm per Funk den Abstand durch. „Drei Meter.... Zwei Meter... Ein Meter.“ Als das Schiff anlegt, sagt Rainer van Laak in sein Funkgerät nur zwei Buchstaben. „A. K.“ Wir fragen den Kapitän, was die Abkürzung bedeute. Er erklärt: „Alles klar.“ Niederrhein-Humor!

In der Ferne entdeckt man nun zwei Türme nebeneinander. Xanten in Sicht. Auf der anderen Seite liegt das schöne Bislich, und ist gleich schon wieder verschwunden. Stromabwärts hat der Fluss ein mächtiges Tempo. 20 km/h fährt die Germania hier, auf der Hinfahrt in Richtung Wesel waren es nur 12 km/h. Wie gut, dass der Niederrhein so arm an baulicher Kulisse ist. Dieser Landstrich ist natürlich nicht aufregend im Sinne von spannend. Viel besser kann man hier ent-spannen. Die Kulisse hier ist was für Liebhaber, solche Menschen, die sich auch daran erfreuen können, dass zehn Kühe am Ufer stehen und sich trotz der Hitze nicht wagen, in diesen Fluss zu steigen. Ist auch besser so, lernen wir. Der Kapitän und einer seiner Helfer wissen zu berichten, dass die Kuh am Hinterteil so ausgestattet ist – wir ersparen Ihnen hier Details –, dass sie nicht schwimmen kann. Steht eine Kuh also auf einer Kribbe, einer langen Steinbuhne in den Rhein hinein, und wird diese Kuh dann plötzlich von einem Angler erschreckt, dann springt sie manchmal vor Aufregung in den Rhein hinein und kann dann nicht schwimmen. Rainer van Laak hat bei einer seiner Touren sogar schon einmal gesehen, wie sechs Kühe tragisch ersoffen sind. Als Kapitän geschieht es ihm natürlich auch immer wieder, dass er Wasserleichen am Ufer entdeckt. Traurige Funde sind dies, aber van Laak spricht darüber wie jemand, der solche Anblicke gewohnt ist. Die Sprache auf dem Schiff ist manchmal rauer als an Land. Van Laak weist darauf hin, dass in Holland das Schwimmen im Rhein verboten ist, er aber hierzulande immer wieder Jugendliche am Wasser sehe. „Die können die Gefahr nicht einschätzen, gerade bei Niedrigwasser gibt es gefährliche Verwirbelungen.“

Das Schiff erreicht nun Haffen. Rheinkilometer 834. Wir fahren unter der Leitung her, wo bald schon riesige Strommengen von der Nordsee ins Landesinnere befördert werden sollen, unter dem Rhein soll ein Tunnel gebaut werden. Der Niederrhein wird so Teil eines gigantischen Energieprojektes. Rechts liegt hier der kleine Hafen für die Futterstation von Bela und das Kiesunternehmen Holemanns. Dann geht es in Richtung Rees; hier beginnt die wohl schönste Aussicht vom Rhein auf ein Städtchen. Rees hat eine prächtige Kulisse. Wie ein noch viel größeres Schiff ankert die mächtige Kirche Mariä Himmelfahrt mitten im Rheinstädtchen. Spaziergänger winken zur Germania rüber, die nun Kurs auf den Steiger Rees nimmt.

Unsere kleine Rhein-Reise endet hier. Wir blicken ein letztes Mal auf die Promenade. Da stehen sie, ausschließlich Männer, die hier Rhinkieker genannt werden. Sie plauschen über Gott und die Welt. Sie schauen anderen beim Spazierengehen zu. Was man halt so macht am Niederrhein.

Sollen die anderen doch ins Disneyland fliegen. Wir sind am Niederrhein 1,5 Stunden Schiff gefahren. Wir haben schon spannendere Kulissen gesehen als hier. Die meisten aber waren auch hässlicher.

Die Auflösung des Rätsels auf S. 1 (von oben nach unten): Xanten, Bislich, Haffen, Obermörmter.

(sep)
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