Wesel Inflation historisch: Wesel nach dem Ersten Weltkrieg

Wesel · Spare in der Zeit, dann hast du in der Not: Ist diese Weisheit heute noch gültig? Das letzte Jahrzehnt jedenfalls hat den Geldmarkt auf den Kopf gestellt. Sicher geglaubte Einlagen vieler Kleinsparer gingen infolge der Finanzkrise verloren. Gegenmaßnahmen führen die Spartheorie gar ad absurdum. Wer heute Bares übrig hat und konservativ mit der Methode Sparbuch auf Vermehrung setzt, zahlt am Ende drauf. Es ist eine schleichende, kaum spürbare Geldentwertung. Das sah vor 100 Jahren ganz anders aus. Da vernichtete die Inflation auch am Niederrhein große und kleine Vermögen schneller, als man gucken konnte. Die Staatsschulden waren nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg höher als das Volkseinkommen. Außerdem hatte Deutschland Reparationen zu leisten. Im Oktober 1921 wies die Mark noch ein Hundertstel ihres Wertes vom August 1914 auf, im Oktober 1922 war es ein Tausendstel.

Ganz besonders zu leiden hatten die Menschen in Wesel. Denn hier brachen mit der Kriegsniederlage 1918 wegen der Abhängigkeit der Garnisonsstadt vom Militär ganze Wirtschaftszweige weg. Deutlich länger als andere Regionen hatte der Niederrhein mit Folgen der von Historikern auf 1914 bis 1923 datierten deutschen Inflation zu kämpfen.

Die frühen Zwanziger waren die aberwitzige Zeit, in der morgens mit Schubkarren und Wäschekörben Unsummen von der Kasse geholt und flugs ausgegeben werden mussten, weil das Geld mittags schon nichts mehr wert war. Eine fundierte Zusammenfassung der Verhältnisse gibt Wilfried Reininghaus in Band 2 der "Geschichte der Stadt Wesel", 1991 bei Schwann erschienen. 1923 beispielsweise war die Stadt zum Teil besetztes Gebiet und die Arbeitslosigkeit enorm hoch. Wer Arbeit hatte und dafür ins Ruhrgebiet fahren musste, der hatte nach Passieren der "Grenze" Lippe in Spellen oft schikanöse Zollformalitäten über sich ergehenzulassen. Die Verzögerungen führten dazu, dass die Leute, zumal Kurzarbeiter, den Schichtbeginn verpassten. Ludwig Poppelbaum (1903 bis 1931 Bürgermeister) schilderte dem Reichsverkehrsminister am 25. Oktober den Zustand so: "Machte beispielsweise der Lohn eines Kurzarbeiters in der vergangenen Woche 2 bis 3 Milliarden Mark aus, so mußten für eine Wochenfahrkarte je nach Entfernung des Arbeitsortes Beträge von 1,2 bis 1,8 Milliarden Mark aufgewendet werden. Dabei können Wochenfahrkarten infolge der Arbeitseinteilung nicht voll ausgenutzt werden."

Die Not traf die Ärmsten am härtesten. Laut Reininghaus' Recherchen waren die Aussichten Ende 1923 trostlos. Hilfsorganisationen kamen mit der Versorgung kaum nach. Im Herbst waren Volksküchen wieder eröffnet worden, "die bis Mai 1924 die Kinder Erwerbsloser speisten". Dass die folgenden Jahre die besten der Weimarer Republik gewesen sein sollen, war in Wesel nicht zu spüren. Viele Firmen, mit jeweils Hunderten Arbeitern, waren der Krise vorher zum Opfer gefallen. 1926 schlossen die Bürsten- und Pinselfabrik Dinnendahl und das Drahtwerk (vormals Krieg & Tigler). 1930 folgte die Lackfabrik Neuhaus. Noch im Mai 1933, als die Werte auf den Banknoten längst wieder auf ein normales Maß geschrumpft waren, gab die die IHK eine Denkschrift heraus: Bezeichnender Titel: "Notstand am Niederrhein".

(fws)
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