Holocaust-Gedenken in Wesel Kurzbiografien, die unter die Haut gehen
Wesel · Schüler des Konrad-Duden-Gymnasiums Wesel geben der Feier zum Holocaust-Gedenktag am jüdischen Mahnmal mit Musik und nüchternen Lebensdaten von Opfern eine starke Aussage.
Allen Widrigkeiten zum Trotz hält Wesel die Erinnerung an die Gräuel der Nationalsozialisten und an deren Opfer wach. Und widrig war am Donnerstag sehr viel. Weil die aktuelle Pandemie ein große Veranstaltung mit Hunderten von Schülern im Willbrordi-Dom nicht zuließ, musste die Feier zum Holocaust-Gedenktag wie im Vorjahr im kleinen Rahmen draußen stattfinden. Dort sorgten Nässe und Kälte sowie Verkehr auf der Pastor-Bölitz-Straße für eine ungemütliche Stimmung. Außerdem versagte die Übertragungstechnik stellenweise, so dass nicht alle immer alles Gesagte und Vorgetragene mitbekommen konnten. Das machte aber nichts, denn die Hintergründe und die Botschaft waren den Anwesenden bekannt.
Bekannt ist aber auch, dass man die Gründe nicht oft genug berichten, die Botschaft nicht oft genug wiederholen kann. Das ist man Millionen von Mordopfern schuldig. Und genau deshalb ist eine konstante Mahnung allen Beteiligten wichtig. Nicht von ungefähr wird der Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee in Wesel von jungen Leuten der weiterführenden Schulen gestaltet. Nur sie werden die Erinnerungskultur an nachfolgende Generationen weitergeben können. Am Donnerstag war erneut das Konrad-Duden-Gymnasium (KDG) an der Reihe. Erneut, weil es von 2021 Erfahrungen mit dem Kleinformat mitbrachte. 2023 – so Corona es will – soll die Feier wieder im Dom stattfinden und von Schülern des Andreas-Vesalius-Gymnasiums (AVG) gestaltet werden.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der widrigen Umstände ging der Akt unter die Haut. Während Pia Henrichs (Trompete) und Femke Krebbing (Gitarre) Anfang und Ende musikalisch untermalten, sprach für die Kirchen zunächst Pfarrer Christoph Kock zu der vergleichsweise großen, aber eben corona-konform mit Abstand versammelten Menge. Mit den Worten „wie in einer Fabrik“ erinnerte er an den „geplanten und vorbereiteten“ Massenmord und die mit der Pogromnacht eingeläutete Judenverfolgung. Und er machte anschaulich, wie sich das im Schulalltag darstellte. Dass einige irgendwann nicht mehr in ihre Klasse kamen. „Abtransportiert.“
Anna Stenert, Fine Brandt, Jonas Hamm und Niels Thürmner vom KDG trugen ruhig und denkbar knapp Lebensdaten von Mitgliedern der ehemaligen jüdischen Gemeinde vor. Zum Beispiel: „Erich Bongartz, geboren 1904, deportiert nach Buchenwald, ermordet.“ Das reichte, um unter die Haut zu gehen. Was dahintersteckte, spielte sich in den Köpfen der Zuhörer ab. Emma Landau, Aron Wertheim, Johanna Herz, Günter Höxter, Rose Poppert, Adolf Raphael, Helene Leni Kohnke, Julius David, Hannelore Marchand und Heinz Baum waren die weiteren Weseler Juden, an die stellvertretend erinnert wurde. Menschen beiderlei Geschlechts und aus allen Altersgruppen. Die Schüler legten für jedes männliche Opfer einen abgekickte Zweig ab, die Schülerinnen für jedes Mädchen oder jede Frau eine abgeknickte Rose.
Die Bedeutung dieses jüdischen Friedhofsrituals erläuterte anschließend Bürgermeisterin Ulrike Westkamp in ihrer Ansprache. Es sind Zeichen dafür, dass hier jemand „zu früh der Schönheit des Lebens beraubt“ wurde. Westkamp untermauerte, es sei die Pflicht, sich immer wieder mit dem „größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ auseinanderzusetzen. Außerdem brachte sie der Hoffnung Ausdruck, dass mit der Erinnerung an die Geschehnisse nicht nur der Verstand, sondern auch die Herzen der jungen Leute erreicht werden sollen.
Die Bürgermeisterin legte mit Wolfgang Jung vom Jüdisch-Christlichen Freundeskreis Wesel einen Kranz in den Stadtfarben am Mahnmal ab. Die weiteren Teilnehmer, darunter Spitzen der Stadtverwaltung, Vertreter der Ratsfraktionen, der beiden Kirchen und der Schulen, legten Blumen und Zweige ab. Berührt, ruhig und würdig. Trotz aller Widrigkeiten.