Historisches Wesel Hansefest – eine Feier Europas

Wesel · Wenn Wesel am Wochenende sein Hansefest feiert, dann ist das auch eine Erinnerung an einen Vorläufer einer europäischen Gemeinschaft. Im Mittelalter gab es zu Hochzeiten 200 Hansestädte. Die Idee der Kaufleute damals bleibt auch heute noch populär: Gemeinsam Wirtschaften lässt sich am erfolgreichsten im Frieden.

 Am Hansewochenende sind Darsteller der Hansegilde und weitere Weseler Bürger in historischen Gewändern im LVR-Niederrheinmuseum Wesel in Filmszenen zu sehen. Hier: ein Tuchhändler aus Brabant im Verkaufsgespräch...

Am Hansewochenende sind Darsteller der Hansegilde und weitere Weseler Bürger in historischen Gewändern im LVR-Niederrheinmuseum Wesel in Filmszenen zu sehen. Hier: ein Tuchhändler aus Brabant im Verkaufsgespräch...

Foto: Veltzke

Es sind besondere Vorzeichen, unter denen in Wesel in diesem Jahr das Hansefest gefeiert wird. Natürlich geht es wie jedes Jahr seit 1991 um einen mittelalterlichen Markt, um das Feiern, um das Erleben Wesels. Man kann dieses Hansefest aber auch auf andere Art begreifen: Ein Jahr, bevor wir in 2019 ein neues Europäisches Parlament wählen, in einer Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheiten durch den anstehenden Brexit, macht das Erinnern an die Hanse bewusst, wie fruchtbar ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln ist. Wenn also an diesem Wochenende in Wesel das Hansefest gefeiert wird, dann kann man das auch als Erinnerung daran verstehen, dass Krieg und Ausgrenzung unseren Kontinent ins Verderben gestürzt haben, das ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit gemeinsam gesetzten Regeln zum Wohle aller führt. Die Hanse sorgte im Mittelalter für Wesels Blütezeit. Wiederholt sich diese Geschichte? Auch in einem Zeitalter der Globalisierung mit einer wachsenden Bedeutung des Logistiksektors erfährt die Hafenstadt Wesel einen neuen Aufwind. Die Hanse-Idee bleibt also aktuell.

Ein Blick in die Geschichte: Findige Kaufleute erkannten im 12. Jahrhundert, dass sie mehr Erfolg haben, wenn sie sich gemeinsame Regeln geben, wenn so auch Handelswege gesichert werden. Sie handelten nach einem kaufmannsgenossenschaftlichen Prinzip: Sie reisten gemeinsam, exportierten Wein, Messing, Eisen. Dieses Bündnis der wandernden Kaufleute wurde im 14. Jahrhundert intensiviert durch eine Hanse der Städte mit eigener Gerichtsbarkeit und – später – einem eigenen Parlament, dem Hansetag. Viele andere Organisationsformen fehlten allerdings: Es gab weder eigene Finanzen, eigene Verwaltung noch ein Dienstsiegel. Dennoch war dieses Konstrukt über fünf Jahrhunderte erfolgreich. 200 Hanse-Städte sollen es zur Hochzeit gewesen sein, vom Niederrhein bis ins Baltikum, über Grenzen hinweg, von London über Bremen und Rostock bis nach Weliki Nowgorod. Europäisches Zentrum war Lübeck, auch wohl die Gründungsstadt der Hanse.

 ...ein Tuchhändler aus Brabant im Verkaufsgespräch...

...ein Tuchhändler aus Brabant im Verkaufsgespräch...

Foto: VV

Indem in einem so immens großen Wirtschaftsraum Güter ausgetauscht wurden, wuchs der Wohlstand. Vielfach handelten zwei Kaufleute in unterschiedlichen Ländern so, dass sie sich gegenseitig ihre Güter zusendeten, die der jeweils andere dann in seiner Heimat verkaufte. Beide profitierten, beide berechneten sich gegenseitig nichts. Indem viele Kaufleute auf diese Art Tauschgeschäfte machten, entstand ein dichtes Netzwerk, die Hanse. Die Hansestädte ergänzten sich in ihrer Vielfalt. Mehr noch: Immer wieder, so schildern es Historiker, habe die Hanse auch friedensstiftenden Einfluss gehabt. Im Streit um die Handelswege mit Dänemark spielte die Hanse eine Rolle. Als ein Vorläufer der EU kann die Hanse auch deshalb gesehen werden, weil bei den Hansetagen Vertreter vieler verschiedener Staaten zusammenkommen und gemeinsam nach Lösungen für Probleme suchen. Abgesandte Bürgermeister und Ratsherren definieren ihre Regeln. Man kann darin durchaus einen Vorläufer des Europäischen Rates erkennen. In noch einem Punkt ist die Hanse aktuell: In Krisenzeiten konnte der Hansetag zeitlich limitierte Kreditverbote verhängen, um hansische Kaufleute, die den Fluss des Geldes nicht komplett kontrollieren konnten, Schutz zu gewähren. Rettungsschirme – so etwas kennt man auch in Europa.

 ...ein Zisterziensermönch...

...ein Zisterziensermönch...

Foto: VV

Die Hanse als Vorläufer Europas? Robert Knüppel, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Bürgermeister der Hansestadt Lübeck, urteilt im Interview mit dem Denkmalmagazin „Monumente“: „Auch wenn der Staatenbund für die Hanse niemals geschichtliche Realität war – sie ist stets nur als Gemeinschaft der Städte aufgetreten – so ist zweifellos richtig, dass sie grundsätzlich über nationale Grenzen hinaus dachte und nationale Vorurteile sowie religiöse Gegensätze nicht gelten ließ. Sie handelte in vielfältiger Weise durchaus europäisch (...).“ Es gebe aber auch Aspekte der Hansegeschichte, die Anlass für Skepsis bieten. Denn die Hanse habe in manchen Phasen auch gänzlich uneuropäisch gedacht. Heißt: Es wurden auch – einige wenige – Kriege im Namen der Hanse geführt, um Handelsmachten zu stärken.

 ...Besuch aus Wesel bei Herzog Johann II.

...Besuch aus Wesel bei Herzog Johann II.

Foto: VV

1407 trat Wesel der Hanse bei. Die Lage an Rhein und Lippe kam der Stadt zugute: Wesel entwickelte sich zum Stapel- und Umschlagplatz für Waren, die aus den Niederlanden und Übersee den Weg nach Köln finden sollten. Die Weseler entwickelten Expertise in der Tuchherstellung. Wesel gewann schnell an Renommee: Beim Hansetag 1447 wird Wesel als einer der fünf Vororte des Kölnischen Hanseviertels anerkannt. Aus der Region waren nur Duisburg und Emmerich dabei. Der Weseler Historiker Veit Veltzke, Leiter des Niederrheinmuseums, sagt: „Als einzige rheinische Städte waren diese drei neben Köln stark in das Handelsgeflecht der Hanse eingebunden, das sich von England bis zum Ostseeraum und von den Alpen bis nach Skandinavien ausdehnte. Bald stellte Wesel den Vorort der Hansestädte in der niederrheinischen Region, war häufig der Tagungsort im Kölner Hansedrittel und vertrat in der Mitte des 16. Jahrhunderts auch die übrigen klevischen Städte und Städtchen auf den Hansetagen.“ Weseler Kaufleute ließen sich in London, Bergen, Stralsund, Wismar, Danzig, Reval (Talinn) und Riga finden. Aus der Hansezeit stammt unter anderem das Historische Rathaus, dessen Fassade nun wieder rekonstruiert wurde. Auch das ein Zeichen: Wesel ist wie in der Hansezeit wieder im Aufschwung, und wieder sind es wohlhabende Kaufleute, Unternehmen, private Spender, die die Entwicklung dieser Stadt vorantreiben. Veit Veltzke urteilt: „Die Hansetradition gehört in Wesel zum Kern der städtischen Identität und bietet Anknüpfungspunkte für Weltläufigkeit und lokales Heimatbewusstsein.“ Auch Veltzke betont, dass die Hanse eine „europäische Orientierung“ gehabt habe. „Mit ihrem weitgespanntem Handelsnetzwerk bildete die Hanse einen Begegnungsraum für Ethnien und Kulturen. Eine gewisse kulturelle Offenheit war da ganz wörtlich genommen die Geschäftsgrundlage.“ Einen umfassenden Europagedanken, so Veltzke, habe die Hanse im heutigen Sinne nicht vertreten. „Aber sicher ist sie wie so manche andere aus dem Mittelalter herrührende staatenübergreifende Institution ein Baustein hierfür gewesen.“

500 Jahre lang bestimmte die Hanse Wirtschaft und politisches Handeln. Erst im 17. Jahrhundert verlor die Idee an Kraft. Wesel wurde unter Kurfürst Friedrich Wilhelm zur Festungsstadt – die Idee der Abgrenzung und Sicherung der Außengrenzen gewann zunehmend an Bedeutung, die Ideen eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes traten in den Hintergrund. Die (zu) engen Grenzen schränkten die Stadt ein. Duisburg baute seinen Hafen aus, Wesel mit einem schwächelnden Hafen büßte hingegen an Wirtschaftskraft ein.

Wesel erinnerte zum 750-jährigem Bestehen 1991 erstmals wieder an die Hanse. 96 Städte nahmen am Internationalen Hansefest teil. Diese Idee lebt fort, in Wesel unter anderem mit einer aktiven Hansegilde. Das ist auch ein Bekenntnis der Stadt zu ihrer Kaufmannstradition.

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