Schermbecker Geschichte Jüdische Jugend traf sich im Haus Berta
Schermbeck · Eine Ausstellung im Schermbecker Heimatmuseum erinnert an die jüdische Freizeitstätte. Ursprünglich war es eine schlichte Baracke, die als Lokschuppen diente, später wurde sie ein wichtiger Treffpunkt.
Anlässlich des bundesweiten deutsch-jüdischen Festjahres, das sich mit der 1700-jährigen Geschichte der Juden in Deutschland befasst und an dessen Gestaltung sich auch die evangelischen und katholischen Christen in Schermbeck und Drevenack mit einer vielfältigen Veranstaltungsreihe beteiligen, zeigt der Heimat- und Geschichtsverein Schermbeck im Heimatmuseum (Steintorstraße 17) seit Sonntag die Ausstellung „Haus Berta – Jüdisches Jugendfreizeitheim am Freudenberg“.
Die Materialien für die Ausstellung hat der ehemalige Schermbecker Pfarrer Wolfgang Bornebusch bereits in den frühen 80er-Jahren zusammengetragen im Rahmen seiner Forschungen zur jüdischen Gemeinde in Schermbeck. Während einer Amerikareise erfuhr er von den umfangreichen Materialien über das Haus Berta.
Auf mehreren Tafeln im Obergeschoss des Heimatmuseums wird das Haus Berta vorgestellt. Ursprünglich war es eine schlichte Baracke, die als Lokomotivschuppen für einen Kiesbaggerbetrieb diente. Die Baracke stand dort, wo sich heute am Freudenberg die Auffahrt zur Autobahn A 31 in Richtung Emden befindet. Der spätere Besitzer Julius Goldschmidt, Inhaber des Gelsenkirchener Warenhauses Gebrüder Alsberg, erlaubte dem Kyffhäuserbund, den inzwischen verfallenen Schuppen als Unterkunft für den Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) einzurichten.
Nach dem Beginn des Dritten Reiches gab der Kyffhäuserbund das Haus Berta auf. Neuer Pächter wurde 1934 auf Betreiben von Leo Gompertz, Inhaber eines etablierten Gelsenkirchener Pelzunternehmens, der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ (RjF), dessen Mitglied Gompertz war. Er war der Initiator, Begründer und Motor dessen, was dann „Haus Berta“ wurde, das nach der Mutter des Grundstücksbesitzers Julius Goldschmidt benannt wurde. Nach 1933 wurden die Juden in Deutschland zunehmend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Angesichts dieser Situation suchten jüdische Jugendbünde, Gemeinden und andere Organisationen nach Möglichkeiten, um ein Mindestmaß an Bildung, Freizeit und Erholung für ihre Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Das Haus Berta sollte solche Möglichkeiten bieten. Es sollte aber noch mehr sein. Jugendliche sollten dort vorbereitet werden auf ein Leben in einem anderen Land. Das bedeutete auch, Hebräisch zu lernen, auf ein Siedlerleben vorbereitet zu werden, zu trainieren oder mit sehr primitiven Lebensverhältnissen zurechtzukommen.
„Es bedeutete für mich die Erfüllung eines Wunschtraums und einen Höhepunkt meines jüdischer Arbeit gewidmeten Lebens, als ich am Sonntag, dem 29. Juli 1934, das Ferien- und Umschichtungsheim Haus Berta… in würdiger Feier seiner Bestimmung übergeben konnte“, schrieb der später in die USA emigrierte Leo Gompertz im Jahre 1965 in einer Sammlung von Erinnerungen ehemaliger Gäste des „Haus Berta“, die sich heute im Leo Baeck Institute in New York befinden. Innerhalb kürzester Zeit bauten Jugendliche und Erwachsene die vorhandene Baracke zu einem Freizeitheim aus. Zusätzliche Einrichtungen wie eine Brauseanlage waren erforderlich.
Dass das Haus Berta von Anfang an eine überregionale Bedeutung besaß, beweist ein Blick auf die Rednerliste der Einweihungsfeierlichkeiten. Als Vorsitzender des Westdeutschen Landesverbandes des Reichsverbandes jüdischer Frontsoldaten begrüßte Albert Süßkind die Anwesenden und hieß auch die Vertretung der Bundesleitung willkommen. Elsbach, der Leiter der Jugend- und Sportabteilung im RjF, reiste aus Berlin an und überreichte Leo Gompertz die Ehrennadel des Sportbundes. Als prominenter Gast wurde auch Salomon aus Köln als Syndikus und Leiter der Jugendabteilung des westdeutschen Landesverbandes begrüßt. „Natürlich hatte unser Fest eine große Zahl nichtjüdischer Neugieriger angelockt“, berichtete Leo Gompertz später. Darunter seien auch Beobachter von „SA“ und „SS“ gewesen.
Hunderte von jüdischen Jugendlichen, die vor allem aus dem Rheinland, aus Westfalen und aus Hessen kamen, verbrachten Freizeiten im Haus Berta. „Aber auch aus weitergelegenen Orten kamen alljährlich Gruppen: Berlin, Breslau, Bremen und nicht zu vergessen die Süddeutschen, besonders die Frankfurter“, erinnerte 1964 der in Santiago de Chile wohnende Leo Auerbach an Ferienlager im Haus Berta. Auerbach, der für die Küche zuständig war, schilderte auch den typischen Tagesablauf: „Schon um 6 Uhr morgens wurde geweckt. Dann schickte man die ganze Belegschaft zum Waldlauf. Dann war Fahnenappell mit Verlesung der Tagesordnung. Bericht der Nachtwachen und Einteilung der Stuben- und Küchendienste sowohl wie die Nennung der Fahnenwache für den Tag.
Um 8 Uhr wurde gefrühstückt, alle Mann hoch im gemeinsamen Speisesaal, der auch zu Versammlungen aller Art und am Schabbes und Feiertagen als Synagoge diente. Nach dem Frühstück allgemeines Bettenmachen und Säuberung der Schlafräume und Zelte. Dann Arbeit in Gruppen. Die älteren Gruppen gingen zu praktischer Arbeit in Wald und Feld, Schreinerarbeiten usw. Die kleineren Gruppen zu Sport und Spiel und Vorträgen über meist jüdische Themen. Mittagessen um 12 Uhr. Nach dem Essen war Ruhezeit bis um 3 Uhr. Nach der Ruhepause mussten alle Gruppen wieder antreten zu Sport oder Spiel im Freien. Um 7 Uhr war wieder Fahnenappell und Einteilung der Nachtwache. Die Gruppen schliefen teils in Schlafsälen, einer für Jungens und einer für Mädels, teils in Zelten, die sich viele Gruppen mitbrachten.“
Nur einige Jahre lang konnte Haus Berta in dieser Form arbeiten. Dann kam das Verbot. Während eines Schabbatgottesdienstes wurde es im Jahre 1937 geschlossen. In der Reichspogromnacht des Jahres 1938 wurde es angezündet und zerstört.