Wesel Gerlach schließt nach 123 Jahren

Wesel · Traditionsreiches Schuhhaus an der Poppelbaumstraße startet den Räumungsverkauf "bis zum letzten Senkel". Hans-Georg und Horst Gerlach hören aus Altersgründen auf. Die meisten Mitarbeiter gehen gleich mit in den Ruhestand.

Die Einkaufsstadt Wesel verliert ein weiteres Fachgeschäft. Die Brüder Hans-Georg (65) und Horst Gerlach (63) — ein Inbegriff in Sachen Schuhe — geben das traditionsreiche Familienunternehmen auf. Der Räumungsverkauf beginnt. "Bis kein Senkel mehr im Haus und auch die Sommerware verkauft ist", sagt Hans-Georg Gerlach. "Unsere Kinder haben alle gute Berufe."

Kein Nachfolger

Seit Jahren haben die Brüder bereits in der Branche nach einem übernahmewilligen Nachfolger gesucht. Gefunden haben sie bislang keinen. "Aber irgendwann müssen die Entscheidungen fallen. Noch sind wir gesund, um den Betrieb aufzulösen", sagen die beiden. Um die zwölf Mitarbeiter müssen sie sich keine Sorgen machen. Die meisten sind mit ihnen im Geschäft aufgewachsen, gehen jetzt gleich mit in den Ruhestand. Für zwei wird versucht, sie bei Kollegen unterzubringen.

Grundstein in Bocholt gelegt

Wenngleich es Salamander-Schuhe aus deutscher Produktion heute nicht mehr gibt, ist Gerlach in Wesels Gedächtnis untrennbar mit der berühmten Marke verbunden geblieben. Generationen von Kindern haben hier die ersten Lurchi-Hefte verschlungen. 1986, zum 100-jährigen Bestehen, berichtete Vertreter des Herstellers, Gerlach habe bis dahin 444 843 Paar Salamander-Schuhe verkauft. Das entsprach aneinandergereiht einer Kartonstrecke von 135 Kilometer und in Leder den Häuten von 50 000 Rindern.

Los ging es vor 123 Jahren in Bocholt. Schuhmachermeister Wilhelm Leiting, der Großvater der heutigen Geschäftsführer, gliederte 1886 seiner Werkstatt ein Schuhwarengeschäft an. Wilhelm Leitings Sohn Johannes gründete 1937 in Wesel die erste Filiale auf der Brückstraße, deren Leitung seine Schwester Therese übernahm.

Zerstört und wieder aufgebaut

Die völlige Zerstörung Wesels im Februar 1945 begrub zunächst alle weiteren Pläne der Firma. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges — Therese Leiting hatte zwischenzeitlich Bruno Gerlach geheiratet — begann der Neustart. In einer Notunterkunft an der Mölderstraße lief am 1. April 1946 der Verkauf von Schuhen wieder an.

Zwei Jahre später kaufte die Familie das Grundstück an der Poppelbaumstraße und baute ein neues Schuhhaus, das am 21. Mai 1949 eröffnet wurde und noch immer den Namen Leiting trug. Doch das sollte sich ändern. Denn als Hans-Georg und Horst Gerlach nach dem Besuch der Fachschule in Pirmasens Mitte beziehungsweise Ende der 60er Jahre in den elterlichen Betrieb einstiegen, sorgten sie dafür, dass das Geschäft den Namen Gerlach bekam. Ein weiterer Meilenstein war das Jahr 1970, als das Geschäft umgebaut wurde und sich die Verkaufsfläche auf 400 Quadratmeter verdoppelte.

Großbrand nach Renovierung

Unvergessen der Großbrand bei Gerlach, der an Heiligabend 1981 das gerade renovierte Geschäft zerstörte. Doch die Brüder krempelten die Ärmel hoch, so dass Ende Mai 1982 bereits die Wiedereröffnung gefeiert werden konnte. Vier Jahre später gab's das große Fest zum 100-jährigen Bestehen des Familienbetriebs.

Im jetzt 123. Jahr wird das Ende des Hauses eingeläutet, dass sich stets mit einem "Gefühl für Schuhe" dem Dienst am Kunden verpflichtet gefühlt hatte.

(RP)
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