Ausbildungsinitiative Kreis Wesel „Vor Corona hatten Behinderte Chancen“

Kreis Wesel · Für die Abgänger von Förderschulen am Niederrhein macht die Arbeitsagentur Wesel mit speziellen Beratern vieles möglich. Zurzeit hemmt jedoch die Pandemie etwas die Bemühungen der Experten.

 Reinhold Füßner, Reha-Berater bei der Agentur für Arbeit Wesel, kümmert sich um Abgänger von Förderschulen.

Reinhold Füßner, Reha-Berater bei der Agentur für Arbeit Wesel, kümmert sich um Abgänger von Förderschulen.

Foto: Fritz Schubert

Wenn junge Leute sich bei der Berufswahl schwer tun, so ist das nicht verwunderlich. Allein die Fülle der Möglichkeiten überfordert viele Schulabgänger. Wie kompliziert muss die Arbeitswelt dann erst Menschen mit Behinderungen vorkommen. Doch auch für sie gibt es Hilfen. Reinhold Füßner (57) aus Rhede ist einer, der sie geben kann. Im RP-Interview gibt der Reha-Berater der Agentur für Arbeit Wesel, die für die Kreise Wesel und Kleve zuständig ist, darüber Auskunft.

Was ist ein Reha-Berater?

Reinhold Füßner So nennen wir uns. Richtig heißt es Berater für berufliche Rehabilitation und Teilhabe. Wir leisten die Berufsberatung für junge Menschen mit Behinderung und kümmern uns um die berufliche Ersteingliederung.

In welchem Gebiet und für wie viele Leute tun Sie das?

Füßner Im Raum Wesel, Rees und Emmerich. Es sind rund 300 Schulabgänger, die ich jeweils über mehrere Jahre betreue. Sie kommen von der Förderschule am Ring in Wesel, die geistig Behinderte unterrichtet, und vom Förderzentrum Grunewald für Lernbehinderte in Emmerich. Außerdem gehören alle anderen dazu, die hier leben, aber anderswo Förderschulen besuchen. Zum Beispiel Schüler mit Behinderungen der Sinne wie Hören, Sehen, Sprechen sowie psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen bis hin zu Diabetes. Wir betreuen alle und sorgen für technische Hilfen.

Was bedeutet das?

Füßner Wir können zum Beispiel Arbeitgebern Hilfen bei der Ausstattung in Aussucht stellen. Etwa mit Lichtsystemen für Hörgeschädigte. Oder besonderen Vergrößerungsmöglichkeiten für Sehbehinderte. Wir reagieren überhaupt sehr, sehr individuell. Hat man zum Beispiel zehn Autisten, dann hat man zehn unterschiedliche. Wir gehen auf jeden Einzelnen ein, zumal es Menschen mit multiplen Belastungen gibt – etwa ADHS und Lernbehinderung.

Woher haben sie Ihre Kenntnisse?

Füßner Unter anderem aus Schulungen und Spezialseminaren, zum Beispiel über Sinnesbehinderungen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch das Netzwerk. Wir arbeiten mit der Lebenshilfe in Rees-Groin zusammen, mit Behindertenverbänden, Kinderheimen und der Jugendhilfe. Außerdem greifen wir viel auf eingekaufte Angebote von Bildungsträgern zurück. Da wären in Dingden der Klausenhof oder in Wesel das CJD. Es können aber auch spezialisierte Einrichtungen zum Beispiel in Bitburg, Lingen oder München sein.

Worum geht es dabei?

Füßner Für die erste Berührung mit Arbeit bedarf es oft berufsvorbereitender Maßnahmen. Viele haben noch keine Entscheidung getroffen, hatten mit dem Förderschulabschluss erstmal genug zu tun und vielleicht mal ein Praktikum gemacht. Mit Praktika, Stütz- und Förderunterricht können Abgänger zur Ausbildungsreife gebracht werden. Natürlich ist auch nicht jeder für eine Vollausbildung geeignet. Manche können viel und gut arbeiten, sind aber kognitiv eingeschränkt. Für sie gibt es theoriereduzierte Ausbildungen in Fachpraktiker-Berufen wie Verkauf, Gartenbau, Lager/Logistik, Küche, Metall, Holz, Landwirtschaft oder Dienstleistungen in leichten hauswirtschaftlichen oder pflegenahen Tätigkeiten.

Wie laufen Ihre Beratungen ab?

Füßner Wie alle anderen Berufsberater der Agentur gehen wir auch in die Schulen. In Emmerich war ich berits im September, in der Schule am Ring in Wesel hat es am 1. April wegen der Corona-Einschränkungen nicht mehr geklappt. Außerdem gibt es da die Risikogruppe der Schwertsmehrfachbehinderten. Normal wären auch die Einzelgespräche mit den Eltern und den Schülern. Das ging aber jetzt telefonisch der Reihe nach. Von 14 Fällen für Plätze in Behinderten-Werkstätten sind jetzt nur noch zwei zu lösen.

Wie steht es generell um Begabungen und Möglichkeiten?

Füßner Wir orientieren uns am Machbaren und schauen gemeinsam mit dem Jugendlichen und seinen Eltern, welcher Beruf am besten passt. Wie bei anderen jungen Menschen auch ist aber nicht jeder Wunschberuf realisierbar. Zudem gibt ja Unterstützungsmittel für Betriebe, die Schwerbehinderte ab einem Grad von 50 Prozent einstellen. Für die Arbeitgeber haben wir Spezialisten, die dazu beraten.

Wie hat sich die Corona-Krise auf die Arbeitsmarktlage ausgewirkt?

Füßner Vor Corona war der Arbeitsmarkt recht gut. Da haben auch viele Menschen mit Behinderung gute Chancen gehabt, in Arbeit zu gehen.

Wie gefällt Ihnen Ihre Aufgabe und was wünschen sie Ihren jungen Kunden?

Füßner Die Arbeit ist oft schwierig, aber sie macht mir auch sehr viel Spaß. Es ist für uns immer wieder eine Herausforderung. Wir helfen  – gemeinsam mit vielen Netzwerkpartnern – Menschen, denen sonst keiner hilft.

Den jungen Leuten schließlich wünsche ich Selbstvertrauen und, dass sie sich richtig bewerben und im Vorstellungsgespräch versuchen, erst ihre Fähigkeiten und Vorzüge darzustellen, anstatt sofort auf ihre Behinderungen aufmerksam zu machen.

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