Wesel Finale: Wesel wie es hupt und tanzt

Wesel · Reportage Als Philipp Lahm Fatihs Jungs nach Hause schickte, kannte der Jubel auf den Kornmarkt und an den anderen Rudel-Schauplätzen der Stadt keine Grenzen. Dann nahm der längste und lauteste Autokorso Fahrt auf, den Wesel je erlebt hat. Auch Schermbecks „Mi“ war verstopft.

/ SCHERMBECK Schwarz, Rot, Gold waren die dominanten Farben auf dem Fan-Park Weseler Kornmarkt, als Jogis Buben im Krimi gegen die Türken in letzter Minute das bis dahin bedrohte Finale letztlich doch perfekt machten. In den ausgelassenen Fan-Massen im Trikot der deutschen Nationalmannschaft konnte man auch einige türkische Fans ausmachen.

Beim 1:0 für die Türkei machten sich die allerdings unüberhörbar. Lauter Beifall und Gesang übertönte das Entsetzen der deutschen Fans. Als dann aber „Schweini“ kurz darauf das den Ausgleich hineinspitzelte, war die Übermacht der deutschen Fans wieder da. „Ich finde, die Türkei spielt besser als erwartet, da es nur unsere B-Mannschaft ist“, sagte Pelin Aydin während der Halbzeit. Sie und ihre Freundin Yesim Cinar drückten Fatihs Jungs feste die Daumen.

Pfiffe für Bildausfall

Die deutsche Sicht blieb trotz der Bedrängnis optimistisch: „Es ist ein ausgeglichenes Spiel, das gut anzuschauen ist“, sagte Maik Ewig. Sein Freund Nico Szymanski nickte: „Ich bleibe beim 3:1 für Deutschland.“ Deniz Özay (9) trug als Deutsch-Türke zwei Herzen in seiner Brust: „Ich bin für den, der gewinnt.“

In der zweiten Halbzeit stieg die Anspannung. Als dann noch Bild und Ton ausfielen, war das Pfeifkonzert groß. Durch leichtes Rappeln am Bildschirm, das einige wagten, kam das Bild auch nicht zurück. Es kehrte Ruhe ein. Es wurde umgeschaltet auf Public Listening. Als nach qualvollen Minuten wieder Bilder liefen, ging’s mit der Stimmung wieder bergauf. Stadiongesang: „Finaaaaale, ohooo“. Kurz vor Schluss – da hatte Lahm in letzter Minute das Tor zum Finale fulminant aufgestoßen – wurde es noch mal ganz leise. Dann endlich die Abpfiff. Unbeschreiblicher Jubel, Kornmakt-Beach tanzte. Wesels bislang längster Auto-Korso nahm langsam Fahrt auf. Eine nicht enden wollende, ohrenbetäubend hupende Blechkarawane zog im Schritttempo durch die verstopfte Stadt. Wer raus wollte, hatte keine Chance. Junge Leute quetschten sich aus den Wagenfenstern und ließen die deutschen Fahnen in der lauen Abendluft wehen. Ein Sommermärchen. Die Musik wurde aufgedreht, die Party nahm ihren Lauf. Die türkischen Fans nahmen es gelassen. So auch Dila Güzeldere: „Beim nächsten Mal klappt es bestimmt. Ich bin trotzdem stolz auf die türkische Mannschaft.“ Andere Fans im Zeichen des Halbmondes waren flexibler: „Jetzt bin ich halt für Deutschland.“ Schön. Der Abend blieb ungetrübt.

Der helle Wahnsinn spielte sich am späten Mittwochabend auch auf dem Festplatz der Altschermbecker Kilianer ab. Im proppenvollen Zelt erlebten etwa 500 Fans ein kaum zu überbietendes Wechselbad der Gefühle. König Fußball hatte die Kilianer fester im Griff als der amtierende Herrscher Holger Scheidt. Das erste Tor der Türken ließ die freudig gestimmten und farbenprächtig geschminkten Deutschland-Fans erstarren. Vier Minuten später war alles wieder gut. Was wurde den Schermbeckern in den nächsten 64 Minuten alles zugemutet! Ein befreiendes Klose-Tor, Pfiffe und Buh-Rufe, als das Bild von der Riesenleinwand verschwand, der Ausgleichs-Schock in der 86. Minute und dann Lahms Last-Minute-Kracher, bei dem die Schermbecker den Befreiungssprung der Bundeskanzlerin Angela Merkel um ein Vielfaches übertrafen. Autofrei auf der Mittelstraße: nach so einem Match unvorstellbar. Das Hupkonzert ertönte bis nach Mitternacht.

(RP)
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