Lager in Büderich und Rheinberg Amerikaner sucht Wahrheit des Grauens

Wesel/Rheinberg · Merrit Drucker, ehemaliger Major der US-Army, forscht in den Archiven am Niederrhein nach Gründen für die desolaten Zustände in den Rheinwiesenlagern Büderich und Rheinberg 1945. Er fragt nach Schuld und Versöhnung.

 1945 im Kriegsgefangenenlager Büderich: Tausende Gefangene stehen im Meerfeld an einer Wasser-Zapfstelle an.

1945 im Kriegsgefangenenlager Büderich: Tausende Gefangene stehen im Meerfeld an einer Wasser-Zapfstelle an.

Foto: NN/n.n.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor jetzt fast genau 74 Jahren waren rund elf Millionen deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft geraten. Hunderttausende davon vegetierten unter unvorstellbar schlechten Umständen ab April 1945 in den Rheinwiesenlagern dahin. Allein in Büderich waren es Anfang Mai rund 80.000. Die Lage für die Besiegten besserte sich erst im Sommer, als die US-Amerikaner sie in die Obhut der Briten gaben. Warum aber hatte die Großmacht sich offenbar bewusst entschieden, nicht nach der Genfer Konvention zu handeln? Diese Frage treibt Merrit Drucker (67) seit Jahren um. Der ehemalige Major der US-Army sucht akribisch nach den Gründen, macht sich damit im Heimatland nicht gerade Freunde. Parallel muss er sich in Deutschland gegen Vereinnahmungen vom rechten Rand des politischen Spektrums stemmen. Von seinen Fragen nach der Wahrheit, nach Schuld und Versöhnung hält ihn das nicht ab. Zurzeit ist er wieder einmal auch am Niederrhein unterwegs, war im Stadtarchiv Rheinberg auf Spurensuche und mit Monika (69) und Rüdiger Gollnick (76) zu Besuch in Wesel. Erstmals war er nun im Meerfeld, Standort des Gefangenenlagers Büderich.

Mit dem früher in Haldern und heute in Bocholt lebenden Ehepaar Gollnick arbeitet Merrit Drucker schon geraume Zeit zusammen. Seine Kontakte zu US-Militär-Archiven halfen unter anderem bei Recherchen für das Buch „Fremd im Feindesland. Fremd im Heimatland“, das Rüdiger Gollnick 2017 vorgelegt hat. Drucker war in seiner Dienstzeit am Standort Rheinberg mit dem Lager-Thema konfrontiert worden. Schockiert von Berichten der Zeitzeugen ergab sich für ihn ein Fragenkatalog. Warum war die 106th Infantry Division, bestehend aus jungen Leuten und frisch unter dem Eindruck der Ardennen-Schlacht stehend, mit dem Management betraut worden und keine Spezialeinheit? Warum gab es keine korrekte Registrierung, um Bahnbedienstete, Postbeamte, Krankenschwestern, Junge und Alte schnell wieder zu entlassen? Warum wurden keine Planen oder Decken aus gefüllten Wehrmachtslagern ausgegeben? Warum hat man dem Roten Kreuz die Kontrolle der Lager verweigert?

Antworten von offizieller Seite stehen bis heute aus. Zum Geschehen berichtet Rüdiger Gollnick: „Am 20. Juni 1945 übernahm die britische Armee offiziell das Management der NRW-Rhein-Lager und baute systematisch eine Infrastruktur auf. Der amerikanische General Stroh trug die Verantwortung für das Lager-Desaster. Der britische Colonel Tom Durant sorgte dann für eine Infrastruktur. Zu dessen Familie haben wir über Merrit Drucker Kontakt aufgenommen und interessante Materialien erhalten, die wir gerne auch noch publizieren möchten.“ Eine Spur, so Gollnick, führte zu Harry Dexter White, der als Ausarbeiter des Morgenthau-Planes gilt und später als Spion der Sowjetunion enttarnt wurde.

Ein Ziel des nie umgesetzten Plans war es, das damalige Deutsche Reich nach Kriegsende in mehrere Staaten zu unterteilen, die demilitarisiert und zu Agrarstaaten umgewandelt werden sollten. Namensgeber Henry Morgenthau blieb Verfechter eines harten Umgangs im Frieden. Die Gollnicks halten die mögliche Verbindung im Sinne der Mentalitätsforschung für äußerst nützlich und sind auf Druckers Studien gespannt.

 Monika Gollnick, Merrit Drucker und Rüdiger Gollnick (von links) bei ihrem Besuch in Wesel

Monika Gollnick, Merrit Drucker und Rüdiger Gollnick (von links) bei ihrem Besuch in Wesel

Foto: Fritz Schubert

Entsprach es dem Zeitgeist in den USA, einen Kurs der Bestrafung zu verfolgen? Drucker und Gollnick sehen dafür Anhaltspunkte und suchen weiter. Hilfe bekommen sie auch von dem Briten Duncan Wade, Autor des Buchs „Ghosts of the Rhine“. Der Großvater dessen deutscher Frau, Otto Scheufele, starb drei Jahre nach der Entlassung aus der Gefangenschaft an Misshandlungen, die er erlitten hatte. Wade arbeitet wieder an einem Buch, auch Drucker denkt an eine Veröffentlichung. „Mir geht es nicht um Politik, sondern um Geschichte und Gedenken “, sagt der Ex-Major. Für Gollnick verkörpert er „auch den anderen Teil US-Amerikas, das nicht nur aus Trump-Anhängern besteht“.

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