Wesel Erst Helfer, jetzt Freunde

Wesel · 23 Kinder aus Starodub verbringen ihre Ferien bei Gasteltern in Dingden und Drevenack. Mit dabei ist Nina Koszlowa. Stellvertretend für alle Betroffenen erinnert sich die Mutter an die Reaktorkatastrophe und berichtet über die Hilfe von "Tschernobyl – Kinder in Not".

hamminkeln/drevenack An den 26. April 1986 kann sich Nina Koszlowa noch genau erinnern. Durch die Fernsehnachrichten erfuhr die Russin von dem Reaktorunglück im Kernkraftwerk Tschernobyl. Was dies für ihr Leben und das ihrer Familie im zweihundert Kilometer entfernten Starodub bedeuten würde, war ihr damals nicht klar. "Keiner hat uns etwas gesagt. Wir sind nicht untersucht worden", sagt die 55-Jährige.

Erst als sie vier Jahre später über den Verein "Tschernobyl – Kinder in Not" Kontakt nach Deutschland bekam, habe sie erfahren, was Radioaktivität bedeutet, erzählt die 13-fache Mutter. Die Auswirkungen der Katastrophe waren für sie derweil auf einer anderen Ebene spürbar: In den betroffenen Gebieten brach die Wirtschaft zusammen. Sie hat sich bis heute kaum erholt.

Hilfstransporte sind ein Segen

"Es fehlt an allen Ecken, an Kleidung und Lebensmitteln. Es gibt kein einziges Gewerbe, in dem unsere Kinder arbeiten können", berichtet Koszlowa. Der erste Hilfsgütertransport von "Tschernobyl – Kinder in Not" im Dezember 1991 und die darauffolgenden waren für die kinderreiche Familie und andere Hilfsbedürftige in der Stadt ein wahrer Segen. Aus den Helfern sind Freunde geworden. "Ich bin sehr dankbar für die großartige Unterstützung. Solange ich lebe, werde ich das nicht vergessen."

Zusammen mit 23 Kindern und deren Betreuern besucht sie derzeit zum ersten Mal ihre Freunde in Deutschland. Beim Sommerfest in der Reithalle Hohe Mark wurde jetzt zusammen gefeiert. Jedes Jahr ermöglicht die Hilfsorganisation Kindern aus Starodub einen mehrwöchigen Ferienaufenthalt in der Umgebung von Hamminkeln. Ute Holloh, Vorsitzende von "Tschernobyl – Kinder in Not", freut sich, dass sie diesmal drei neue Gasteltern gewinnen konnte.

Bei den älteren Kindern zeige sich, wie positiv sich der langjährige Kontakt auswirke. "Zwei Mädchen haben eine Berufsausbildung abgeschlossen und wollen jetzt noch eine Computerfortbildung machen. Das ist schon etwas besonderes, denn viele schaffen es nicht", sagt Holloh. Für die Waisenkinder seien die Gasteltern fast zur eigenen Familie geworden. Auch die inzwischen erwachsenen Kinder von Nina Koszlowa gehen beruflich eigene Wege. Sorge bereitet ihr Tochter Natascha. Die 16-Jährige leidet an Herzproblemen und einer Schilddrüsenerkrankung – Folgen der radioaktiven Strahlung. Auch Krebserkrankungen sind in Starodub sehr häufig.

Der Besuch in Deutschland ist für Kinder und Erwachsene gleichermaßen ein Erlebnis. Nina Koszlowa ist von der Natur und der Pflanzenvielfalt beeindruckt. "Wenn man die Familie nicht hätte, könnte man glatt hier bleiben", meint sie. Die 55-Jährige und die Kinder sind zum ersten Mal mit einem Flugzeug geflogen. "Beim Starten und Landen haben alle gekreischt", sagt sie schmunzelnd. Am 23. Juli geht es ab Düsseldorf zurück in die Heimat.

(RP)
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