Martina Biebersdorf (evangelische Pfarrerin) Und Stefan Sühling (katholischer Pfarrer) Ein Gespräch zum Reformationstag

Wesel · Wie denkt ein katholischer Pfarrer, wie denkt eine evangelische Pfarrerin über den heutigen Tag? Was trennt, was eint?

 Im Wesels großer Kirche, dem Willibrordi-Dom: Martina Biebersdorf und Stefan Sühling

Im Wesels großer Kirche, dem Willibrordi-Dom: Martina Biebersdorf und Stefan Sühling

Foto: Sebastian Peters

Frau Biebersdorf, Herr Sühling: Sie blicken mit unterschiedlicher Perspektive auf das Jubiläum 500 Jahre Reformation. Was bedeutet Ihnen der Reformationstag?

Martina Biebersdorf Für mich bedeutet der Reformationstag nicht nur Erinnerung an Luthers Aufbruch mit dem Thesenanschlag. Sondern für mich ist dabei wichtig: "Ecclesia semper reformanda" - die Kirche soll sich immer erneuern. Das ist die Aufgabe und Bedeutung von Reformation heute. Ich überlege mit der Gemeinde, wie wir es schaffen, nicht stehenzubleiben.

Stefan Sühling Erst einmal ist der Reformationstag für mich ein halbfreier Tag. Es ist ja immer der Tag vor Allerheiligen. Spätestens ab dem Nachmittag beginnt für mich die Vorbereitung auf die Vorabendmesse. Ganz grundsätzlich ist der Reformationstag eine Erinnerung an den reformatorischen Impuls von Martin Luther, dass wir als Kirche grundsätzlich an der Schrift orientiert sind, an Jesus Christus. Dass die Kirche nicht nur sich selbst gefällt. Das hat Martin Luther der Kirche seiner Zeit mit auf den Weg gegeben.

Werden Sie den Reformationstag in Ihren katholischen Gottesdiensten zum Thema machen, Herr Sühling?

Sühling Natürlich, Allerheiligen ist jedes Jahr mit dem Reformationstag verbunden. Es ist übrigens etwas mehr als ein Jahr her, dass Martina und ich uns gemeinsam mit evangelischen und katholischen Christen aus Wesel auf den Weg nach Wittenberg gemacht haben, anlässlich des Reformationsjubiläums. Dort haben wir alle noch besser verstanden, wie entscheidend der reformatorische Impuls ist. "ecclesia semper reformanda" - der Satz stammt übrigens nicht von Martin Luther, sondern aus der katholischen Kirche.

Wünschen Sie sich mehr Ökumene?

Biebersdorf Eine gute Ökumene ist ein Schatz. Die Verantwortung als Christen in unserer Gesellschaft ist eine gemeinsame. Aber auch die je eigenen Traditionen und Formen sind wichtig, weil sie Menschen unterschiedlich erreichen. Was uns verbindet, ist die Seelsorge für die Menschen.

Sühling Dahinter steckt ja auch die Frage nach der gemeinsamen Liturgie. Manche Pfarrerkollegen aus dem Bistum Münster staunen immer, wenn ich aus Wesel berichte. Wir haben hier bereits selbstverständlich in allen Schulformen ökumenische Gottesdienste. Und wir haben hier einen gemeinsamen Stil gefunden, Gottesdienst zu feiern. Seit 40 Jahren haben wir hier ganz selbstverständlich ökumenische Trauungen. Dadurch hat sich hier in Wesel ein sehr ökumenisches Eheverständnis entwickelt. Das fühlt sich aber aus der eher katholisch geprägten Perspektive der Stadt Münster beispielsweise kompliziert an.

Ist Wesel bei Ökumene also schon weit?

Sühling Unbedingt, was wir aber nicht können, ist hier an der Basis die Frage von Eucharistie und Abendmahl klären. Wir können hier keine Insel schaffen, wiewohl ich sicher bin, dass sobald Rom Signale sendet, wir hier Menschen finden, die sich bewegen. In der Frage des gemeinsamen Abendmahls warten die Menschen auf Antworten.

Wie erklären Sie den Laien das Trennende beider Kirchen?

Biebersdorf Ich sage dann immer: Guckt mich erst mal an. Ich bin eine Frau und Pfarrerin, das ist typisch evangelisch in Deutschland. Alles Weitere, die Unterschiede im Abendmahlsverständnis zum Beispiel, das kann man zum Beispiel Kindern nur schwer erklären.

Sühling Mir fällt es leichter zu sagen, was uns verbindet, weil es sehr viel mehr ist, sehr viel Grundlegenderes. Was uns trennt, ist mehr die Frage der Amtstradition. Das kann man alles irgendwie erklären, ist aber ungeheuer kompliziert. Das Gemeinsame finde ich viel näher.

Wie entwickelt man das weiter?

Sühling Der gemeinsame Gottesdienst auf dem Großen Markt 2016 zum Stadtjubiläum hatte dies zum Thema: Was wollen wir gemeinsam tun, dass die Menschen in 50 Jahren noch sagen: ,Es ist gut, dass es die Christen gegeben hat, oder gibt'. Oder: ,Es ist gut, dass Christen sich einmischen'.

Biebersdorf Es lohnt sich, zu sagen: ,Wir sind verbunden in der Verschiedenheit'. Wir sind schon sehr weit. Wir müssen ja nicht alle gleich sein. Es gibt Menschen, die schätzen das Vertraute einer katholischen Liturgie, andere fühlen sich durch moderne Texte und freiere evangelische Formen angesprochen.

Wesel ist eine der Speerspitzen des Protestantismus am Niederrhein. Ist Wesel eine protestantische Stadt?

Biebersdorf Eindeutig: Ja. Wer am Niederrhein die größte Kirche hat, der prägt die Stadt.

Sühling Naja, das ist interessant. Wesel gilt als protestantische Stadt, so gilt das auch aus der Sicht der Bistumsstadt Münster. Das liegt am Willibrordi-Dom. Die Zahlen sind andere: Durch die Verteilungspolitik der Heimatvertriebenen sind viele Stadtteile katholischer geworden. Bei 62.000 Menschen in Wesel gibt es 27.000 Katholiken, nur 20.000 Protestanten, und zu viele Menschen, die nicht getauft sind.

Beneiden Sie die Protestanten darum, dass sie in Wesel den Willibrordi-Dom haben? Ohne Reformation wäre das vielleicht Ihrer gewesen, Herr Sühling.

Sühling Ja klar beneide ich sie. Der Weseler Dom ist ein ausnehmend schöner Raum. Da kann man ja nicht anders, als neidisch zu sein. Wir haben aber auch schöne Kirchen. Die Bislicher Kirche ist sehr schön, und für Hochzeitsfeiern schöner, weil kleiner.

Biebersdorf Ich genieße es, hier Dienst tun zu dürfen. Das ist etwas Besonderes, auch mit dem Schwerpunkt der Kirchenmusik. Als ich vor über 20 Jahren in Wesel meinen Dienst anfing, da dachte ich: Oh, so eine große Kirche. Mit der Zeit wird man mit dem Raum vertrauter, die Kirche wird "kleiner". Man kennt die Menschen, man weiß, wer wo sitzt. Ich sage meinen Konfirmanden immer: Ihr dürft stolz sein - ihr seid Konfirmanden in einer der größten und schönsten evangelischen Kirchen im Rheinland.

Beneiden Sie wiederum die Katholiken darum, dass sie mehr Tamtam machen in ihren Gottesdiensten.

Biebersdorf Nein! Ich komme aus einer Gemeinde im Bergischen, die in den Achtzigern in der Friedensbewegung sehr aktiv war. Da haben wir tolle Friedensfeiern erlebt, in einer Betonkirche. Für mich bringen die Menschen mit, was Gottesdienste ausmacht. Ich bin Mensch des Wortes. Ich bin immer gern bei den Katholiken zu Gast, aber das ist nichts, was meinem Gottesdienstgefühl vordringlich entspricht.

Sühling Wir haben es übrigens als Katholiken auch nötig, dass wir unsere Liturgie verändern.

Abrüsten?

Sühling Was die Sprache angeht, unbedingt.

Biebersdorf Ein Update!

Sühling Vielleicht, wobei: Ich mag den Begriff nicht. Auch was Kirchenmusik angeht, sollten wir schauen, was sich getan hat in den letzten 50 Jahren. Wir sollten manch altes Liedgut in die Geschichtsbücher packen. Genauso hat sich vieles verändert in der Art, wie wir Gottesdienst feiern, Menschen beteiligen. Es braucht Anpassung.

Was sind die Erkenntnisse Ihrer eingangs erwähnten Wittenberg-Reise?

Biebersdorf Bewirkt hat die Reise gutes Miteinander. Am ersten Abend saßen die Leute getrennt, hier die Katholiken, dort die Protestanten. Am letzten Tag saßen alle durcheinander. Es gab gemeinsames Nachdenken über das, was Erneuerung und Aufbruch bedeutet.

Sühling Ich habe sehr in Erinnerung, dass alle Mitreisenden diese Suche Martin Luthers, sein innerer Impuls zur Reformation, "Wie finde ich einen gnädigen Gott?", angesprochen hat. Diese Frage hat alle richtig heftig bewegt. Das war der nachhaltigste Impuls. Damit wird deutlich: Luther ging es nicht darum, die evangelische Kirche zu gründen, sondern es ging darum, das Gottesbild zu entstauben.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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