Zum Gedenken der Zerstörung vor 75 Jahren (2) Wie Alt-Wesel in Schutt und Asche fiel

Wesel · Hunderte Bomber warfen ihre Fracht ab. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Drei Tage machten den Untergang komplett.

 Bombentrichter an Bombentrichter und aus der Trümmerwüste ragt rechts oben die Ruine des Doms: "The New York Times Magazine" zeigte das vollkommen zerstörte Wesel am 15. April 1945.

Bombentrichter an Bombentrichter und aus der Trümmerwüste ragt rechts oben die Ruine des Doms: "The New York Times Magazine" zeigte das vollkommen zerstörte Wesel am 15. April 1945.

Foto: AW

16., 18. Und 19. Februar 1945: Diese drei Tage haben sich ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Jetzt jährt sich das Ereignis, das Wesel vollkommen verändert hat, zum 75. Mal: die nahezu komplette Zerstörung Alt-Wesels durch die verheerenden Luftangriffe der Alliierten. Die ersten Bomben waren bereits am 2. Juni 1940 gefallen. Sie gingen an Kaldenberg, Sand-, Brück- und Ritterstraße nieder. Aber die besagten Tage im Februar 1945, knapp drei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, stellten alles in den Schatten, was die Stadt und ihre Bewohner bis dahin zu erleiden gehabt hatten.

Der 16. Februar 1945 war ein herrlich klarer Tag. Die Alliierten wussten die guten Wetterbedingungen zu nutzen, schickten am Morgen gut 100 Bomber Richtung Wesel. Hier war es ab etwa 10.30 Uhr mit der Ruhe vorbei. Vollalarm trieb die Menschen in die Keller und Bunker. Und es konnte gar nicht schnell genug gehen, denn schon um 11 Uhr fielen erste Bomben auf das Landratsamt, das Rheinglacis und die Schlachthofstraße. Der erste starke Angriff der Lancaster-Maschinen begann, wie Polizeihauptmann Wilhelm Schyns es seinerzeit dokumentierte, gegen 11.30 Uhr. Schyns: „In den überfüllten Schutzräumen spielten sich herzzerreißende Szenen ab. Frauen erlitten Nervenzusammenbrüche oder verfielen in Weinkrämpfe. Andere fingen laut an zu beten, worauf ein großer Teil miteinstimmte.“

In immer kürzeren Abständen flog die Royal Air Force Wesel an. Um 12.30 Uhr trafen Bomben Häuser am Breiten Weg, dann an der Komturstraße, an der Baustraße und am Brüner-Tor-Platz. Was folgte, waren eine trügerische Ruhe und Entwarnung. In Scharen flohen die Menschen aus Wesel in die Nachbarschaft. Einige blieben, wollten Verschüttete bergen oder irgendwie zu helfen versuchen. Weil eine Alarmierung nicht möglich war, kam der Hauptangriff des Tages gegen 16 Uhr völlig überraschend. Rund 300 Bomber warfen in mehreren Wellen ihre zerstörerische Fracht über der schon arg angeschlagenen Stadt ab.

Wer in der Trümmerwüste geblieben war, war nur unzureichend sicher. Denn Wesel war in die geringe Luftschutzkategorie III eingestuft. Massive Hochbunker gab es nicht. Allein im Keller des Theatersaals an der Feldstraße starben 50 Menschen. In der 56er Kaserne ebenfalls 80 Offiziere kamen bei einer Lagebesprechung im Hotel Escherhaus am Bahnhof ums Leben.

Das Grauen nahm kein Ende. Die Detonationen sollen laut Schyns bis Essen und Krefeld zu hören gewesen sein. Geschäftsmann Paul Körner, Bürgermeister von 1947 bis 1949, hielt damals fest: „Um 16.25 Uhr war Wesel nicht mehr!“

Das Inferno ging weiter. Mit Verzögerung zündeten Brandbomben. Wesel stand in Flammen. Die Feuerwehr pumpte Löschwasser aus dem Rhein. Rettungsmannschaften aus Oberhausen konnten erst gegen 20.30 Uhr ins Zentrum vordringen. Mit letzten Habseligkeiten flohen Menschen aus der Stadt.

401 Todesopfer unter den Zivilisten (insgesamt ist von rund 600 Toten die Rede) waren zu beklagen. Von 3280 Gebäuden blieben nur 60 unbeschädigt. Das ganze Ausmaß des Leids kann auch der damals ermittelte Zerstörungsgrad von 97 Prozent kaum wiedergeben. Nicht ohne Grund wird Wesel in einem Atemzug mit ausradierten Städten wie Dresden und Coventry genannt. Das US-amerikanische Magazin „Life“ titelte damals so schrecklich wie treffend: „Wesel wurde pulverisiert“. Traurige Berühmtheit erlangte eine Aufnahme der alliierten Luftaufklärer, die am 15. April 1945 in „The New York Times Magazine“ zu sehen war. Bombentrichter an Bombentrichter und aus der Trümmerwüste ragen Ruinen des Jungengymnasiums am Ring (heute Amtsgericht), des Doms, der Himmelfahrt-Kirche. Das Bild muss nach den finalen Zerstörungen durch Bomben und Granaten vom 23. Auf den 24. März 1945 entstanden sein. Die Alliierten gingen für ihren Rheinübergang auf Nummer sicher.

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