RP-Thema Wesels Zerstörung im Februar vor 70 Jahren "Die Mittagspause war mein Lebensretter"

Wesel · Heinrich Brincks überlebte den verheerenden Luftangriff vom 16. Februar 1945, weil er gerade nicht im Bauamt in der Innenstadt war.

 Heinrich Brincks vor seinem Elternhaus am Schepersweg 11, das vergleichsweise unbeschadet den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Er selbst wohnt heute nebenan am Birkenfeld.

Heinrich Brincks vor seinem Elternhaus am Schepersweg 11, das vergleichsweise unbeschadet den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Er selbst wohnt heute nebenan am Birkenfeld.

Foto: Ekkehart Malz

Wesel Ob als Karnevalist, engagierter Katholik oder reimender Leserbriefschreiber: Heinrich Brincks, gerade 85 Jahre alt geworden, ist vielseitig interessiert und heimatverbunden. Zu vielen Ereignissen aus Wesels Geschichte und der Jetztzeit weiß er was zu sagen. Erstmals hat er jetzt der RP als Zeitzeuge von den Luftangriffen 1945 berichtet.

Heinrich Brincks war zehn, als 1940 in seiner Schepersfelder Heimatgemarkung die ersten Bombenschäden zu verzeichnen waren. Wahrscheinlich hatten die Alliierten die Flak-Stellung am Blücherviertel treffen wollen. Spätestens im Januar 1945 hatte das Elend auch seine Familie erreicht. Cousine Christel Brinks und eine Tante waren bei einem Jabo-Angriff ums Leben gekommen. Bei deren Beerdigung fiel Brincks Blick in der Leichenhalle auf zehn Bombenopfer vom Entenmarkt. "Ohne Särge lagen sie da auf der Erde", schildert er die Begegnung mit dem Tod, der noch viele weitere folgen sollten.

Besonders detailreich präsent ist ihm natürlich der 16. Februar, der Tag des ersten großen Angriffs. Brincks war 15 und Bauzeichner-Lehrling bei der Stadt. Sein Arbeitsplatz lag im zweiten Stock des Stadthauses (unten Sparkasse, oben Verwaltung) an der Kreuzstraße, gleich neben der Mathena-Kirche (heute Kaufhof). Dienst war von 7.30 bis 18.30 Uhr. Dazwischen zwei Stunden Mittagspause. Die hat er natürlich im Elternhaus am Schepersweg 11 verbracht. Mit dem Rad - ein Wasserschlauch ersetzte die nicht mehr zu bekommende Bereifung - wollte er gegen 14.15 Uhr gerade zurück in die Stadt fahren, als der Angriff begann. Alle Hausbewohner stürzten in den Keller. "Es waren keine einzelnen Einschläge. Es war ein durchgängiges Getöse", berichtet Brincks. Das Haus schwankte wie bei einem Erdbeben. Etwa eine knappe halbe Stunde lang, ohne Unterbrechung." Dann war Ruhe. "Wie abgeschnitten." Niemandem war was passiert, das Haus bewohnbar geblieben. "Die Mittagspause war mein Lebensretter", sagt er.

Wieder im Freien, sah Brincks nur Rauch und Staub über der Stadt stehen. "Dämmerung, um 15 Uhr herum." Brincks machte sich auf in die Stadt. Durch die Gantesweilerstraße kam er schon nicht mehr, musste wegen der Trümmer einen Umweg machen über die Mölderstraße, wo er ein erstes Erlebnis hatte. Dort wohnte ein schwedischer Dachdeckermeister, der nach Brincks Erinnerung Sundström hieß. Leute riefen und suchten nach ihm. "Aber er ist wohl umgekommen", sagt Brincks, der überall auf Verzweifelte traf. Das Stadthaus war völlig zerstört. Brincks half mit, Verschüttete aus dem Keller zu holen. Den kriegsversehrten Telefonisten Sons und seine Familie. Mit einem Leiterwagen brachte er diese zum Fänger nahe dem Tannenhäuschen. Wieder auf allerlei Umwegen, wegen der Schuttberge und der Blindgänger, von denen immer mal wieder welche hochgingen. In der Kaserne an der Esplanade hatte es viele Tote gegeben, die gar nicht geborgen werden konnten. Monatelang haben die Körper dort gelegen. "Haben Sie so etwas mal gerochen", fragt Brincks. An den Stadtwerken (heute Saturn) vorbei ging es zum Bahnhof. Dort lag ein totes Pferd auf dem Stahlgerüst einer Bunker-Baustelle. Es war durch die Luft geschleudert worden. Über den Grünen Weg (Grünstraße) und die Ackerstraße wurde das Ziel für Familie Sons schließlich mühselig erreicht.

Als Heinrich Brincks etwa um 18.30 Uhr wieder nach Hause kam, da war es voller Frauen und Kinder, die keine Bleibe mehr hatten. Und seine Mutter war froh, ihn wiederzusehen. Sie hatte ihn schon abgeschrieben. "Mit 15 war ich der einzige Mann im Haus", sagt Brincks.

Auch die nächsten Angriffe ließen sich in Schepersfeld vergleichsweise gut überstehen. Schließlich wollte auch die Familie Brincks nicht mehr bleiben, zog über Schermbeck nach Gelsenkirchen-Buer zu einer Tante, die Schwester Oberin des dortigen Marien-Hospitals war. Es wurde zum Lazarett für die verwundeten deutschen Kriegsgefangenen aus den berüchtigten riesigen Lagern auf der linken Rheinseite. "Ich blieb mit dem Tod vertraut", sagt Brincks. "All diese jungen Männer ..."

(RP)
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