Interview "Die Hemmschwelle ist noch zu hoch"

Wesel · Seit genau zwei Wochen gibt es die "Pille danach" rezeptfrei auch in allen Weseler Apotheken. Über den Nutzen und die möglichen Gefahren des Hormonpräparates sprach die RP mit drei Fachleuten.

 Bundesweit wurde in den ersten zwei Wochen nach Freigabe rund ein Drittel mehr Packungen der "Pille danach" als im Vorjahreszeitraum ausgegeben. In Wesel ist dieser Trend noch nicht zu erkennen. Bei der RP diskutierten darüber Michael Jilek, Gabriele Tjardes und Markus Valk.

Bundesweit wurde in den ersten zwei Wochen nach Freigabe rund ein Drittel mehr Packungen der "Pille danach" als im Vorjahreszeitraum ausgegeben. In Wesel ist dieser Trend noch nicht zu erkennen. Bei der RP diskutierten darüber Michael Jilek, Gabriele Tjardes und Markus Valk.

Foto: Malz, Ekkehart (ema)

Nach der Entlassung aus der Rezeptpflicht verzeichnet der Verkauf der "Pille danach" ein rasantes Wachstum. Laut Marktforschungsunternehmen IMS Health wurden allein in den ersten zwei Wochen fast ein Drittel mehr Packungen als im Vorjahreszeitraum abgegeben. Doch wie ist die Situation in Wesel? Darüber diskutierten bei der Rheinischen Post jetzt Gabriele Tjardes von der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle des Diakonischen Werkes in Wesel, Dr. Markus Valk, Sexualmediziner und Gynäkologe in Wesel, und Michael Jilek, der Sprecher der Apotheker im Kreis Wesel.

Wie viele "PiDaNa" haben Sie, Herr Jilek, seitdem verkauft?

Michael Jilek Ehrlich gesagt, es gab bislang keine Nachfrage. Das kann allerdings auch damit zu tun haben, dass für Frauen, die ungeschützt Geschlechtsverkehr hatten, die Hemmschwelle einfach noch zu groß ist. An dieser Stelle möchte ich grundsätzlich sagen, dass die "Pille danach" nur bis maximal fünf Tage nach dem ungeschützten Verkehr genommen werden kann.

Herr Dr. Valk, wie oft sind Patientinnen bislang zu Ihnen gekommen, um sich die "Pille danach" verschreiben zu lassen?

Dr. Markus Valk Im Durchschnitt zwei pro Woche. Die rufen meistens an und fragen, was sie tun sollen. Oft ist es so, dass sie Antibiotika genommen haben und befürchten, dass die Pille deshalb nicht wirkt. Oder es liegen andere Einnahmefehler vor. Ich glaube, dass das neue System ein Vorteil bringt für junge Frauen aus, ich sage mal, "gesundheitssystemfernen Schichten".

Frau Tjardes, Sie dürften den Wegfall der Rezeptpflicht begrüßen, oder?

Gabriele Tjardes Auf jeden Fall. Denn ich weiß von Frauen, die bei mir in der Beratung waren, dass sie im besagten Notfall am Wochenende beim Ärztenotdienst beziehungsweise in Krankenhäusern waren und ihnen die "Pille danach" nicht gegeben wurde. Mit unterschiedlichsten Begründungen. Ich weiß von Fällen, wo die Betroffenen bis montags warten mussten wenn die gynäkologische Praxis wieder geöffnet hat - und da war es oft zu spät. Ich finde es sehr gut, dass an diesem Punkt keine Hemmschwelle mehr vorhanden ist. Aber die Frauen brauchen Beratung für die "Pille danach". Es ist ein Hormon-Cocktail!

Jilek Gestatten Sie mir, dass ich hier kurz eingreife. Die gleichzeitige Einnahme von der Pille und der "Pille danach" ist nachweislich kein Problem. Ein Schwangerschaftsabbruch ist mit der normalen Dosierung nicht möglich. Das Problem ist: Die "Pille danach" wirkt nur, wenn sie vor dem Eisprung genommen wird, denn sie zögert den Eisprung bis zu fünf Tage hinaus, dann leben die Spermien nicht mehr.

Und was kann eine Frau nach dem Eisprung tun?

Dr. Valk Da hilft nur noch, Kerzen anzuzünden oder die Einlage einer Kupferspirale.

Wie muss man sich ein Gespräch nachts in der Notdienstapotheke vorstellen?

Dr. Valk Ich sehe mehrere Probleme. Zum Beispiel, wo soll das Beratungsgespräch stattfinden.

Jilek Sicher ist nachts der Personenschutz in Form der Notdienstklappe hinderlich. Da wir aber ein 12-Stunden Zeitfenster haben, kann am nächsten Tag durch Öffnen der Apothekentüre eine bessere Beratungssituation geschaffen werden. Unsere Apotheker-Beratungsleitlinien sagen, an Jugendliche unter 14 Jahren möglichst nicht abgeben.

Wie stehen Sie dazu, Frau Tjardes?

Tjardes Meine Meinung dazu: Besser die "Pille danach" auch an diese Altersgruppe abgeben, als einen Abbruch riskieren.

Was raten Sie den Betroffenen: Sollte nach der Einnahme der "Pille danach" noch der Frauenarzt aufgesucht werden?

Dr. Valk Auf jeden Fall. Entweder zum Arzt oder zur Beratungsstelle.

Rechnen Sie damit, dass die "Pille danach" dazu führt, dass Frauen sorgloser mit der Verhütung umgehen?

Tjardes Das glaube ich nicht, denn die meisten Frauen verhüten. Nur kann es eben passieren, dass die Verhütung nicht funktioniert. Ich arbeite seit 15 Jahren in der Konfliktberatung und bin überzeugt, dass mit der Neuregelung viele Frauen einfach besser durchs Leben kommen. Auch für die Kliniken bedeutet die Neuregelung eine deutliche Erleichterung.

Dr. Valk Eigentlich war die deutsche Regelung gut genug, es musste aber einer Vorgabe der Europäischen Kommission Rechnung getragen werden.

Tjardes Ich fände es übrigens schön, wenn Apotheker und Beratungsstellen besser als bisher zusammenarbeiten würden.

Jilek Da stimme ich Ihnen zu. Wir werden jede Abgabe dokumentieren, und wenn ich von Ihnen eine Liste der Beratungsstellen in Wesel bekommen könnte, würde ich mich dafür einsetzen, dass die Apotheken bei jedem Verkauf nach der Beratung noch diese Merkblatt mitgeben, damit die Frauen auch nach der Einnahme jederzeit einen Ansprechpartner finden.

KLAUS NIKOLEI FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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