Interview mit Norbert Neß „Gute Landwirte sind bessere Klimaschützer“

Hamminkeln · Einen Antrag zur Landwirtschaft hat die CDU Hamminkeln zum bundespolitischen Thema gemacht. CDU-Vorsitzender Norbert Neß spricht über Ausgleichsflächen und wie die Bauern profitieren sollen.

 Mit grünen Kreuzen machen die Landwirte auf ihre Lage aufmerksam.

Mit grünen Kreuzen machen die Landwirte auf ihre Lage aufmerksam.

Foto: dpa/Lino Mirgeler

Herr Neß, die Lage der Landwirtschaft wird in Deutschland stark diskutiert. In einem Antrag für den jüngsten CDU-Bundesparteitag hatten Sie gefordert, dass bei Versiegelung von Fläche ein Eins-zu-Eins-Ausgleich erfolgen müsse. Einem Quadratmeter versiegelte Fläche müsse ein Quadratmeter ökologische Ausgleichsfläche gegenüberstehen. In einem Satz schreiben Sie: „Dabei muss auch der ökologische Ausgleich durch landwirtschaftliche Flächen Priorität erhalten.“ Erklären Sie diesen Antrag, was bedeutet er konkret?

Norbert Neß Es geht um mehr Gerechtigkeit für unsere Landwirte. Sie wollen nicht über Gebühr strapaziert werden, indem sie zum Beispiel im schlimmsten Fall ihre Flächen für den Straßenbau abgeben und darüber hinaus noch viele weitere und zusätzliche Flächen für Bebauung kompensieren müssen. Das wäre dann ja ein doppelter Verlust. Hinzu kommt, dass dabei oftmals gutes, ertragreiches Ackerland verlorengeht. Kern unseres Antrags ist neben dem Eins-zu-Eins-Ausgleich, dass wir einheitliche Vorgaben brauchen, damit nicht jede Untere Landschaftsbehörde nach eigenem Gusto entscheidet. Im Übrigen gibt es auch andere, innovative Ideen für den ökologischen Ausgleich. Zum Beispiel die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft, die gemeinsam mit den Landwirten Ausgleichsmaßnahmen entwickelt wie am Mühlenbach in Brünen. Hauptsache mit den Landwirten – und nicht über ihre Köpfe hinweg!

Wie ist der Antrag entstanden, was sind die Hintergründe?

       Norbert Neß, Vorsitzender der CDU in Hamminkeln.

Norbert Neß, Vorsitzender der CDU in Hamminkeln.

Foto: Fritz Schubert

Neß Wir erleben, dass unsere heimische Landwirtschaft gerade mächtig unter Druck ist. Viele Menschen wollen leckeres Fleisch, gutes Gemüse und gesunde Ernährung zu niedrigen Preisen – und am besten jeden Tag. Aber die professionelle Herstellung lehnen sie ab. Auch die Politik geht nicht immer sorgsam mit diesen Widersprüchen um. Das passt nicht zusammen und deshalb demonstrieren die Landwirte kürzlich mit ihren Traktorkonvois, was ich persönlich nicht nur legitim, sondern in der Sache gut und richtig finde. Mancher Landwirt kritisiert auch die Politik der CDU. Sogar innerhalb der CDU. Der Ortsverbandsvorsitzende der CDU Brünen, Thomas Neu, ist selbst Landwirt. Er hat in unseren Parteigremien gesagt, dass seine eigene Partei zu wenig für die Bauern tue. Dies habe ich aufgegriffen und ihm zugesagt, dass wir uns auf dem Bundesparteitag in Leipzig konkret einsetzen. So ist unser Initiativantrag entstanden.

Welche Auswirkungen hat der Antrag, es wird damit auch schwerer, neue Wohngebiete auszuweisen?

Neß Ich denke nicht. Gefragt ist vielmehr ein gerechter und sorgsamer Ausgleich zwischen den Bedürfnissen fürs Wohnen, fürs Arbeiten und der Ökologie. Die Industrie, die viel CO2 verursacht, muss sich ja heute mit dem europäischen Emissionshandel auch durch den Zukauf von Zertifikaten entlasten. Ein solches Instrument wäre auch etwas für den Flächenausgleich. Längst eingeführt ist das Instrument des Ökokontos. Für künftige Eingriffe können die Gemeinden durch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen Punkte sammeln. Eingriffe in die Landschaft werden nach dieser Lösung, die in Sachsen und in Bayern längst angewendet wird, durch eine ökologische Aufwertung von landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Flächen ausgeglichen. Das Fachwort dafür heißt „produktionsintegrierte Kompensation“.

Die CDU positioniert sich damit nicht nur als eine Partei der Landwirte, sondern auch des Klimaschutzes. Wie gut lässt sich beides vereinbaren?

Neß Gute Landwirte sind die besten Klimaschützer. Bei den Bäuerinnen und Bauern in Hamminkeln habe ich keine Sorgen, dass sie nicht sorgsam, umsichtig und vorausschauend mit Gottes Schöpfung umgehen. Im Gegenteil: Gute Landwirte wissen doch, dass der gute und vernünftige Umgang mit Boden und Tieren der beste Garant dafür ist, im Wortsinne nachhaltig zu wirtschaften.

Wie ist die Lage konkret in Hamminkeln? Fehlen den Bauern dort schon Ackerflächen in einer noch stark landwirtschaftlich geprägten Region?

Neß Im Prinzip jeden Tag mehr. Gerade beim ökologischen Ausgleich schafft jedes neue Infrastrukturprojekt neue Herausforderungen, weshalb wir uns für den Eins-zu-Eins-Ausgleich starkgemacht haben. Denken Sie an den Betuwe-Ausbau, den Hochwasserschutz oder Straßenprojekte wie die aktuell diskutierte Ortsumgehung in Brünen. All diese Zukunftsprojekte belasten möglicherweise die heimische Landwirtschaft, weil ihr Flächen entzogen werden, die ansonsten langfristigen wirtschaftlichen Ertrag garantierten.

Gibt es weitere Gründe für fehlende Flächen?

Neß Im Wesentlichen sind dies Infrastrukturprojekte wie beispielsweise im Straßen- oder Schienenbau. Aber auch der Kiesabbau. Der kostet Fläche sogar doppelt: einmal durch die Abgrabung und einmal durch den Ausgleich. Der Ausgleich von heute ist die fehlende landwirtschaftliche Nutzfläche von morgen. Hier gilt es umzusteuern.

Welche Reaktionen auf Ihren Antrag haben Sie in der CDU inzwischen erfahren?

Neß Eigentlich nur Positive. Wenn nicht der erhebliche Zeitdruck beim Einbringen in Leipzig beim Parteitag gewesen wäre. Es war durchaus herausfordernd, in nur anderthalb Stunden 30 Unterstützer zu gewinnen, die mit ihrer Unterschrift den Antrag mit einbringen. Denn das ist die formale Voraussetzung, damit er überhaupt der Antragskommission vorgelegt wird. Ich habe mich gefreut, dass mit tatkräftiger Unterstützung unseres Landratskandidaten Ingo Brohl nicht nur alle Delegierten aus dem CDU-Kreisverband Wesel unterschrieben haben, sondern auch Parteifreunde wie unser Bezirksvorsitzender Günter Krings, der Europaabgeordnete Stefan Berger aus Viersen, die Landtagsabgeordnete Margret Voßeler-Deppe aus dem Kreis Kleve, der Bundestagsabgeordnete Stefan Rouenhoff aus Goch, aber auch ein Großstadtpolitiker wie Oberbürgermeister Thomas Kufen aus Essen. Der Parteitag hat den Antrag schließlich angenommen – und ihn an den zuständigen Fachausschuss Landwirtschaft der Bundes-CDU überwiesen.

Wenn ein solcher Antrag in den zuständigen Ausschuss verwiesen wird, was bedeutet das? Ist das schon als Erfolg zu werten?

Neß Na klar. Damit steht er auf der politischen Tagesordnung der CDU. Erstens kann keiner in Berlin oder Düsseldorf sagen, dass das Thema nicht relevant ist. Denn der Bundesparteitag hat den Flächenausgleich jetzt – wie man heute so sagt – auf die politische Agenda gesetzt. Zweitens erwarten wir, dass die Fachkommission in die politische Umsetzung geht. Zum Beispiel, indem die Unteren Landschaftsbehörden via Gesetzesinitiative die geforderten einheitlichen Kriterien an die Hand bekommen. Und das Instrument Ökokonto, das in Sachsen und Bayern erfolgreich praktiziert wird, wäre doch auch was für NRW. Jetzt zählt die Tat. Wir werden als CDU-Hamminkeln ebenso wie unser Kreisverband auf jeden Fall am Thema dranbleiben.

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