Wesel "Der Pflegenotstand ist bei uns angekommen"

Wesel · Nur mit allergrößter Mühe ist es Norbert Bay aus Hünxe-Gartrop gelungen, für seine kranken Eltern die nötige Hilfe zu organisieren. Offenbar scheuen Pflegedienste Fahrten in Rand-Zonen.

 Weil er zunächst keinen Pflegedienst gefunden hat, der die Medikamente für seine kranken Eltern zusammenstellt und der die - ärztlich angeordnete - Einnahme kontrolliert, musste Norbert Bay diese Arbeit selbst erledigen.

Weil er zunächst keinen Pflegedienst gefunden hat, der die Medikamente für seine kranken Eltern zusammenstellt und der die - ärztlich angeordnete - Einnahme kontrolliert, musste Norbert Bay diese Arbeit selbst erledigen.

Foto: Nikolei

Natürlich kennt Norbert Bay aus Hünxe-Gartrop aus den Medien Berichte über den Pflegenotstand in Deutschland. Doch haben sie ihn bislang eher am Rande interessiert. Nun aber, da seine Eltern nach einem Krankenhausaufenthalt auf Hilfe angewiesen sind und er am eigenen Leib erfahren hat, wie schwer es ist, gerade im ländlichen Bereich einen zuverlässigen Pflegedienst zu bekommen, weiß er: "Der Pflegenotstand ist bei uns angekommen."

Familie Bay hatte es in jüngster Zeit nicht leicht. Adolf Bay (81) musste kürzlich im St. Elisabeth-Krankenhaus Dorsten unter anderem wegen unerträglicher Schmerzen im Rücken- und Brustbereich behandelt werden. Außerdem wurde ihm 2016 in Münster ein bösartiger Tumor im linken Oberschenkel entfernt. Mit der Folge, dass er in seiner Beweglichkeit sehr eingeschränkt ist. Nun gibt es einen neuen Tumor im linken Unterarm.

Noch während des Klinikaufenthaltes erhielt der Senior den Pflegegrad zwei. Auch seine Frau Anna-Maria (79) wurde im Dorstener Krankenhaus zur Abklärung organischer Probleme untersucht. Der Antrag auf Pflegegrad-Einstufung läuft.

Sowohl Adolf als auch Anna-Maria Bay müssen täglich mehr als ein Dutzend Medikamente nehmen. Eine entsprechende Anordnung des Hausarztes liegt vor. Sprich: Mitarbeiter eines Pflegedienstes sollen die Medikamente zusammenstellen und dann auch kontrollieren, ob auch alles so eingenommen wird, wie nötig.

Was Norbert Bay, der mit seiner Familie im Obergeschoss seines Elternhauses wohnt, bei der Suche nach einem geeigneten Pflegedienst erlebt hat, ist kaum zu fassen. "Ich habe mir extra zwei Tage freigenommen, um sämtliche Pflegedienste in der Region anzurufen und nach Medikamentenbereitstellung und Pflegedienst gefragt. Doch praktisch überall hieß es, dass Gartrop einfach zu weit außerhalb liege und sich die Fahrt dorthin wirtschaftlich einfach nicht rechne. Zumal jetzt auch noch die Schermbecker Brücke gesperrt wird", erzählt Bay, der als Vertriebsleiter einer niederländischen Firma bundesweit unterwegs ist. Der 51-Jährige ist heilfroh, dass es am Ende doch noch irgendwie geklappt hat. Pflegedienstleistungen wie Unterstützungen bei der Körperpflege und im Haushalt übernimmt die Firma MIM Betreuungsdienste Wenz aus Hünxe, die allerdings keine Medikamente bereitstellen kann. Dies übernimmt die Caritas in Schermbeck, die allerdings nur einmal wöchentlich nach Gartrop fährt.

"Weil ich hartnäckig bin und nicht lockergelassen habe, bin ich letztlich zum Ziel gekommen", ist Norbert Bay überzeugt. Was aber machen pflegebedürftige Senioren ohne Angehörige oder Familienmitglieder die weniger hartnäckig auftreten? "Für die bleibt wahrscheinlich nur noch der Weg ins Heim", sagt Bay.

Ist der Fall der Familie Bay ein Einzelfall oder eher die Regel? Beim Kreis Wesel gibt es mit Ullrich Petroff einen ausgewiesenen Fachmann, der sich mit dem Bereich Pflege auskennt. Auf Anfrage erklärt er, dass es in jeder Gemeinde im Kreisgebiet eine Pflegeberatung gebe, die Betroffene und deren Angehörige berät - auch im Hünxer Rathaus. Obwohl sich die Gemeinde nach Auskunft von Ullrich Petroff "als einzige im Kreis nicht an den Kosten beteiligt." Gleichwohl ist die Pflegeberatung im Hünxer Rathaus auf der Homepage des Kreises Wesel vermerkt. Die zuständige Mitarbeiterin ist derzeit allerdings im Urlaub. Eine Vertretung gibt es nicht.

Das Problem ist, dass Norbert Bay von diesem Beratungsangebot nichts wusste. "Mich hat der Soziale Dienst im Dorstener Krankenhaus nicht auf diese Stelle hingewiesen und auch niemand bei den Pflegediensten, die ich angerufen habe. Und auch nicht bei der Barmer Krankenkasse." Auf die ist Norbert Bay nicht gut zu sprechen. "Zwar hat man meine Sorgen in Wesel angehört und einen Rückruf wenige Tage später versprochen, doch habe ich nie wieder etwas von der Barmer gehört."

Ullrich Petroff zeigt sich von dem Fall der Familie Bay sehr betroffen. "Die Krankenhaus-Sozialdienste beziehungsweise die Überleitungsdienste der Kliniken im Kreis Wesel kennen die Situation und sorgen dafür, dass die Nachversorgung von Patienten ordentlich organisiert wird", sagt er. Wie das in Dorsten, also im Kreis Recklinghausen aussehe, könne er nicht sagen. Der Versuch unserer Redaktion, bei der Klinik St. Elisabeth nähere Auskünfte zu der ganzen Sache zu erhalten, schlug fehl. Die Pressesprecherin hatte zwar angekündigt, sich zu informieren, hat sich dann aber nicht mehr gemeldet.

Auch wenn Ullrich Petroff seit Jahren versucht, die breite Öffentlichkeit über das Angebot der für Ratsuchende kostenlosen Pflegeberatung zu informieren, muss er erkennen, dass es für ihn und seine Mitarbeiter noch viel zu tun gibt. Und insgeheim hofft er darauf, dass ihn die Hausärzte künftig ein wenig mehr unterstützen. Denn sie seien die Ersten, die früh mit den Patienten zu tun hätten und mit den Angehörigen ins Gespräch kämen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort